Das Kriegstagebuch des Alfred H. Fried

Bern, 19. September.

Und nochmals zu dem Thema «Einmischung». Diejenigen in Deutschland, die sich so empörten über Wilsons Eintreten für eine Demokratisierung Deutschlands, werden, wenn sie nicht rettungslos verblendet sind, durch die Veröffentlichung des Briefwechsels Wilhelms II. mit dem Zaren erkennen, dass der Kaiser 1905 sich ebenso für die Demokratisierung Russlands eingesetzt hat, wie es Wilson 1917 für die Demokratisierung Deutschlands tut. Nur im Ton besteht der Unterschied, der dadurch bedingt ist, dass Amerika mit Deutschland sich im Krieg befindet, während dies zwischen Deutschland und Russland 1905 nicht der Fall war.

Der Kaiser schrieb:

«Ehe Du Deine endgültige Entscheidung für den Frieden oder die Fortsetzung des Kriegs triffst letztere würde von weitreichenden Folgen sein, die in ihrem Endergebnis schwer vorauszusehen sind und unzählige Menschenmengen, Blut und Geld kosten —, wäre es, wie mir scheint, ein ausgezeichnetes Verfahren, wenn Du diese Fragen erst der groben Duma vorlegen würdest. Da diese das russische Volk vertritt, wäre ihre Antwort die Stimme Russlands. Wenn sie sich für den Frieden entscheidet, bist Du durch das Volk ermächtigt, auf Grund der Deinem Delegierten in Washington unterbreiteten Vorschläge Frieden zu schließen. Wenn sie, also Russland selbst, deren Ehre für gewahrt hält, kannst Du das Schwert in die Scheide stecken, mit den schönen Worten Franz 1.: Alles ist verloren, außer der Ehre! Niemand in Deiner Armee, in Deinem Land oder der übrigen Welt hat ein Recht, Dich für diese Handlung zu tadeln. Wenn andererseits die Duma, usw. Ich würde an Deiner Stelle nicht die erste und günstige Gelegenheit vorübergehen lassen, mit dem Empfinden und Wollen Deines Landes in Bezug auf Krieg und Frieden enge Fühlung zu gewinnen, indem Du dem russischen Volk die langgewünschte Möglichkeit gibst, die Entscheidung über seine Zukunft selbst zu treffen oder an dieser Entscheidung teilzunehmen, wozu es ein positives Recht hat...»

Was ist das anderes als ein Eintreten für die russische Demokratie also ein Einmischung in die innere Angelegenheit eines Staates, wenn diese auch hier in der Form eines freundlichen Ratschlags gegeben ist. Sicherlich hätten die «echt russischen Männer», wären sie von dieser Korrespondenz unterrichtet gewesen, den freundlichen Ratschlag Kaiser Wilhelms mit ebensolcher Entrüstung zurückgewiesen, wie heute die «echt preußischen Männer» die Forderung Wilsons zurückweisen, und jene hätten die Dumaförderer gebrandmarkt, als eine im Dienst eines fremden Monarchen wirkenden Gruppe. Das hätten aber jene Deutsche, die heute über Wilson wüten, niemals als berechtigt anerkannt.