Das Kriegstagebuch des Alfred H. Fried

11. August 1914.

Man wird bedauert. «Der arme Fried», so heisst es.

Welche Verkennung unserer Arbeit liegt in diesem Mitleid. Als ob wir gearbeitet hätten, weil wir den Weltkrieg unmöglich, den Krieg überhaupt für überwunden hielten. Ist doch gerade das Gegenteil das Motiv unseres Wirkens gewesen. Weil wir den Krieg noch nicht für überwunden hielten, weil wir wussten, dass jeder Krieg in Europa zu einem Weltkrieg sich gestalten müsste, suchten wir jene Mittel auszubauen und zu stärken, die für die Kriegsmöglichkeiten Hemmnisse sein sollten.

Das ist die grösste Seelenpein für mich, dass man in der Öffentlichkeit dem eigentlichen Wesen des Pazifismus noch immer im Grundsatz fremd gegenübersteht. Unsere Friedensarbeit wird immer wie eine Preisung eines uns bereits errungen scheinenden Friedenszustandes angesehen, unsere Kongresse als Jubelfeste über den Frieden, während wir in Wirklichkeit nichts anderes wollen als einem Zustand zuarbeiten, den auch wir noch nicht erreicht wähnten. Wir feierten nicht den errungenen Frieden, wir strebten ihm erst zu. Und der ausgebrochene Krieg beweist nicht, dass wir uns geirrt haben, sondern dass wir Recht hatten. Nicht «armer Fried» darf es heissen; die Bedauernswerten sind jene, die nicht die Voraussicht besassen wie wir.

Dass der Krieg unsere Verständigungsarbeit beeinträchtigen wird, unterliegt keinem Zweifel. Unser Werk gleicht der Ausführung eines Seedammes zur Vorbeugung von Hochfluten. Nun kommt aber, ehe der Damm vollendet ist, wieder eine solche Flut. Nicht überraschend. Wir mussten damit rechnen. Heute ist alles überflutet. Erst bis die Wasser zurückstauen werden wir sehen, was von unserem Damm noch übrig geblieben. Gewiss wird er beschädigt sein, gewiss durchbrochen. Aber im Fundament wird er noch vorhanden sein, und wir werden daran gehen, ihn wieder aufzurichten. Wenn nicht uns, einer Generation, die kommen wird, wird es dann gelingen, ihn genügend stark und genügend hoch zu bringen, dass er imstande sein wird, die ärgste Hochflut abzuhalten.

Es wird ein Sieg der Deutschen bei Mülhausen gemeldet. Also auf elsässischem Boden wird gekämpft? Unheimlich, dass einem jeder Überblick fehlt. Soviel geht in der Welt vor, so Wichtiges, und wir sind plötzlich abgeschnitten vom Nachrichtenverkehr. Die Allgegenwart, an die sich der moderne Mensch, verführt durch die entwickelte Technik, schon gewöhnt hatte, ist plötzlich zerronnen. Wir sitzen am Robinsoneiland.

Die Hauptsache für uns Pazifisten ist das felsenfeste Vertrauen in das Ziel. Wie oft las man von den Erdrutschungen, die das Werk des Panamakanals vernichteten. Und ohne Verzweiflung setzte man sich wieder an die Arbeit. Zweimal riss das erste Kabel, das zwischen Europa und Amerika gelegt wurde. Erst das dritte Mal gelang es, es hinüber zu führen. Nicht verzweifeln; was auch kommen mag. Unser Werk kann beschädigt aber nicht mehr vernichtet werden.