Das Kriegstagebuch des Alfred H. Fried

Axenstein, 7. August.

Ein Aufsatz von A. Knapp in der «Neuen Zürcher Zeitung» über Nippolds Schrift «Der deutsche Chauvinismus» gibt Anlass zum Nachdenken. Es ist gewiss ein edles Motiv, die Fehler des eigenen Volks entschuldigen und in milderer Auffassung zeigen zu wollen. Aber in den Wirkungen kann solches Verfahren nicht gut sein. Man tut seinem Volk einen grösseren Dienst, wenn man mutig auf eitrige Fäulnis hinweist, als wenn man sie zu beschönigen sucht.

Überhaupt ist diese Methode, die mit dem Hinweis auf die Fehler der andern die eigenen Fehler entschuldigen will, töricht. Ein Fehler wird dadurch nicht geringer, nicht entschuldbarer, dass ihn auch andere besitzen. Wozu jetzt solche Kompromisse? Inmitten des jammervollsten Elends ist es wahrhaftig nicht angezeigt, die konventionellen Formen der Vergangenheit zu bewahren. Dieses fortwährende «die andern auch» war vielleicht noch zulässig in der Zeit normalen Lebens, wo die Maxime des «fortiter in re, suaviter in modo» den Umgang gemütlicher gestaltete und eine gemütliche Abwicklung des Geisteskampfes noch zu erhoffen war. jetzt aber, wo wir Seen voll Blut um uns fliessen sehen und durch Jammer und Verzweiflung Vernichtete an jeder Strassenecke begegnen, brauchen wir wahrhaftig auf das geschmierte Abrollen des Geisteskampfes kein so grosses Gewicht mehr zu legen. Darum die Wahrheit ohne Puder und Schminke; nur sie kann die Wunden heilen helfen, nur in ihrer reinsten Destillation kann sie uns retten.

Aufhören endlich mit dieser «die andern auch»-Methode. Deutscher Militarismus — die andern hatten ihn auch. Deutscher Annexionismus — die andern hatten ihn auch. Deutsche Kriegsparteien Imperialisten — alles bei den andern auch. — Sicherlich. Darüber ist gar nicht zu reden. Die Unterschiede sind aber vorhanden und so schwerwiegend vorhanden, dass man aus reiner Liebe zum eigenen Volk, aus der Lust an der behaglichen Wärme der Gutgesinntheit nicht so leicht daran vorübergehen kann. Es ist ein Unterschied, ob sich die Chauvinisten eines Landes in der Minderheit befanden, ob ihre Tätigkeit durch eine umfassende Friedensaktivität gehemmt wurde, oder ob sie — wie in Russland z. B. — die offizielle Welt durchtränkten und sich von hohen Stellen des Reichs gehätschelt und gefördert sahen, ob alle chauvinistischen, imperialistischen und expansionistischen Betätigungen und Organisationen sich des Patronats aller führenden Persönlichkeiten in Staat und Gemeinden erfreuten, während jede pazifistische Betätigung und Organisation dem Hohn und Gelächter preisgegeben wurden und daher ein unbeachtetes Dasein führten. Das ist ein Unterschied! Es ist ein Unterschied, wenn in einem Land mit wirklichem Parlamentarismus, mit verantwortlichen Ministern starke militaristische Bestrebungen sich geltend machen, die im geeigneten Augenblick an der Wehr der Verfassung hängen und stecken bleiben mussten oder wenn — wie in Russland z. B. — dieses Sicherheitsventil nicht besteht und dem militaristischen System im kritischen Augenblick die unbeschränkte Entscheidung zufällt . Kurz, es gibt Unterschiede, Eigentümlichkeiten, Gestaltungen, Unwägbarkeiten, die es bewirken, dass äußerlich gleiche Einrichtungen oder Erscheinungen ganz verschiedenartig in ihrem Wesen sind. Mögen sich das die «die andern auch»-Politiker gesagt sein lassen.

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Das «Berliner Tagblatt» ist seit dem 1. August vom Oberkommandierenden in den Marken wieder verboten worden. Diesmal dauert es länger als beim ersten Verbot. Ob es Theodor Wolffs Artikel war, in dem er so mutig durchblicken liess, dass dieser Krieg vielleicht doch hätte vermieden werden können, und worin er für die Zukunft eine wirksame Kontrolle der Diplomatie forderte, oder ob wegen der Notiz über den Silberschatz des Königs von Serbien das Verbot ausgesprochen wurde. Das letztere scheint mir eher der Fall zu sein. Die Nachricht ist doch im höchsten Grad verwunderlich. Sie stand im «Berliner Tagblatt» vom 27. Juli und hat folgenden Wortlaut: « Der Silberschatz König Peters auf der Kriegausstellung. Aus Danzig wird uns geschrieben: Wie bald zu Beginn des Feldzugs gegen Serbien bekannt wurde, hatte der serbische König seinen Konak in so grosser Eile verlassen müssen, dass es nicht möglich war, den Silberschatz in sicheres Gewahrsam zu bringen. Dem Infanterieregiment Nr. 129, das in Friedenszeiten in Graudenz in Garnison liegt, gelang es , den gesamten Silberschatz zu erbeuten. Da sich dies Regiment, dessen Chef Generalfeldmarschall v. Mackensen ist, besonders hervorgetan hat, wurde die kostbare Beute dem Offizierskorps zur Verfügung gestellt und nach Graudenz gebracht. Von dort aus soll sie jetzt nach Danzig überführt werden, um in der Deutschen Kriegsausstellung, die Anfang September dort eröffnet werden wird, zur Schau gestellt zu werden.»

Hier scheint die Annahme vorzuliegen, dass das Tafelgeschirr eines Königs Staatseigentum sei. Nur dieses darf als Kriegsbeute angesehen werden.