Das Kriegstagebuch des Alfred H. Fried

Bern, 9. März.

Gestern ist Graf Zeppelin in Berlin gestorben. Sein Name wird verknüpft bleiben mit einer der größten Umwälzungen des Menschengeschlechts, mit der Beherrschung der Luft. Er wird auch jenen stets als Aneiferung und Vorbild dienen, die unter Spott und Hohn ihrer Zeitgenossen ein grosses Ziel verfolgen. Zeppelin, der als Nationalheld stirbt, galt lange Zeit hindurch seinen Zeitgenossen als Narr, so wie die Pazifisten im Voraugust.

Zeppelins Lebensleistung wird durch die Schändung nicht beeinträchtigt werden, die der Zeitgeist seiner Erfindung zuteil werden liess. Sie, die den höchsten Triumph der Menschheit über die Umwelt bedeutet, sie, die dazu hätte dienen können, ein Zeitalter der Internationalität und des gesicherten Weltfriedens zu krönen, wurde zunächst als eines der größten Massenzerstörungsmittel verwendet. Man wird später die Krankheit der Zeit erkennen, und aus dieser Erkenntnis heraus den Missbrauch aller Kulturerrungenschaften entschuldigen. Die Anwendung der Luftschiffahrt ausschliesslich für den Krieg ist so recht das Beispiel für jene Tendenz, die Alexander Herzen einmal als «Dschingis-Khan mit Telegraphen» kennzeichnete. Damit wollte er die Ausnützung aller Kulturerrungenschaften bezeichnen, die dem Wohl und dem Fortschritt der Menschheit zu dienen bestimmt sind, für deren Vernichtung und für die Zwecke der Barbarei. Es ist auch sicher, dass ohne die kriegerische Nutzanwendung die Luftschiffahrt jene Förderung nicht erhalten hätte, die zu ihrem Gelingen nötig war. Wie wären ihr sonst diese Geldmittel zur Verfügung gestanden, die es allein ermöglichten, die Widerstände der Anfänge zu überwinden. Ich habe einmal den Militarismus mit jener Wölfin verglichen, die Romulus und Remus gesäugt hat, mit jenem Raubtier, das unbewusst zur Gründung Roms beitrug. So wird auch einmal die durch den Militarismus grossgezogene Luftschiffahrt zum Glück und Wohl der Menschheit beitragen. Dann erst wird der Name Zeppelin im reinsten Licht erstrahlen.

Merkwürdig wie der Krieg die Optik verzerrt. Erscheinungen, die man im eignen Land, oder wenn sie gegen das eigne Land gerichtet sind, als das größte Verbrechen bezeichnet, erscheinen als Grosstat, wenn sie sich in einem feindlichen Land zutragen oder dort von uns gefördert werden. Die deutsche Regierung liebt die Revolution und unter stützt sie, wenn es sich um Südafrika, Indien, Irland, Mexiko oder sonstwo handelt, die Revolutionäre im eignen Land behandelt sie weniger liebevoll. Sie ist für die Befreiung der Polen in Russland, der Balten, der Flamen, will aber von einer freieren Behandlung der fremden Volksstämme im eignen Land nichts wissen. So werden jetzt auch in der gesamten deutschen Presse jene Pazifisten in Amerika gefeiert, die sich der Kriegsabsicht der Regierung entgegenstellen. Wie behandelt man aber die Pazifisten bei uns? jene konservativen und alldeutschen Blätter, die uns fortgesetzt als Landesverräter verschreien, können sich gar nicht genug tun in der Preisung der amerikanischen Minorität, die gegen Wilson auftritt. Dabei wird gar nicht beachtet, dass bei uns im Falle eines drohenden Kriegs den Pazifisten durch die famose Einrichtung des Belagerungszustands jede Möglichkeit genommen wird, als Mahner und Warner aufzutreten. Auch in Deutschland gab es im Juli 1914 kluge Pazifisten, ihnen war jedoch fürsorglich der Mund versperrt worden. Dieses Beispiel der verzerrten Optik ist deshalb so trostlos, weil es erweist, dass unter dieser Verzerrung auch die Friedensmöglichkeiten nicht erkannt werden.