Das Kriegstagebuch des Alfred H. Fried

Lugano, 28. April.

Heute ist der Krieg neun Monate alt. Ich rechne von der ersten Kriegserklärung ab, das ist von der, die Österreich-Ungarn an Serbien erliess. Neun Monate. Ein Krieg an dem drei Fünftel der Menschheit direkt beteiligt sind, die andern zwei Fünftel indirekt. Neun Monate lang stockt der Welthandel, der Weltverkehr, die produktive Arbeit, die wissenschaftliche und sonstige Kulturarbeit, fliesst das Blut der Jugend. So wenig man eine Ahnung davon hatte, dass der Krieg so lange dauern konnte, so sehr ist man heute darauf gefasst, dass er noch sehr lange dauern kann. Aber man denkt nicht daran, dass die europäische Menschheit heute bereits ein Jahrhundert ihrer Entwicklung versäumt hat. Wieviele wird sie noch versäumen.

Die Haltung Italiens und Rumäniens bilden jetzt die grosse schwierige Frage. Die Entscheidung, die hier fällt, scheint jetzt wichtiger zu sein als die auf den Schlachtfeldern. Der Kampf der Diplomaten in Rom scheint aufs höchste gespannt zu sein.

Im ungarischen Parlament, jenem einzigen Lungenflügel mit dem das Verfassungsleben der Doppelmonarchie jetzt atmet, ist nach einer Rede des Ministerpräsidenten und des Honvedministers die neue Heeresvorlage, wonach die Landsturmpflicht mit dem 18. Jahr beginnt und mit dem 50. erst endigt, glatt angenommen worden. Bei der ungeheuren Erregung, die diese Verfügung in der ganzen Bevölkerung Österreich-Ungarns hervorgerufen, stimmen die Volksvertreter Ungarns kopfnickend zu, die Österreichs werden gar nicht befragt, die Zeitungen, die gegen die Verfügung Stellung nehmen. wollten, wurden zensuriert.