Das Kriegstagebuch des Alfred H. Fried

Bern, 23. November.

«Oh! Du mein Österreich ...!» Die Melodie dieses Textes summt mir im Kopf, seitdem ich heute in den Wiener Blättern auf ganzseitigen Inseraten die Ankündigung einer «Österreichisch-ungarischen Kriegs-Ausstellung» gelesen habe, die im Sommer 1916 im «k. k. Prater, Kaisergarten und anschliessendem Gelände» stattfinden soll. Eine Kriegs-Ausstellung also! Was ist das? — Nach der Ankündigung soll sie umfassen:

a) Eine Ausstellung von Beutestücken und Siegestrophäen;

b) eine Ausstellung jener Erzeugnisse der Industrie und des Gewerbes, die im Krieg Verwendung finden;

c) eine Ausstellung von Werken der bildenden Kunst und von Erzeugnissen der Industrie und des Gewerbes, die auf den Krieg Bezug haben oder mit ihm im Zusammenhang stehen.

Die Ankündigung einer solchen Ausstellung ist — um es kurz zu sagen — eine Unverschämtheit.

Angesichts des blutenden Volks wagt man es, eine Parade des Kriegsgeschäfts inszenieren zu wollen. Der Krieg als Verbraucher, der Krieg als Geschäftemacher, der Krieg als Gönner, das soll dargestellt werden, während es von Wichtigkeit wäre, den Krieg als Krankheit des internationalen Organismus’, den Krieg als Verbrecher an der Menschheit darzustellen. Man wagt es, das Unglück in lieblicher Vergoldung zu zeigen und an dem Milliardengewinn der Kriegslieferanten ein nettes Geschäftchen anzuknüpfen, für das man obendrein die Hochdruckpresse der Gutgesinntheit und der sogenannten «Vaterlandsliebe» in Bewegung setzt. Man rechnet mit dem «dummen Kerl» von Wien, der in hunderttausenden von Exemplaren zu jener Ausstellung strömen und sie bewundern wird. — Ich denke an eine andere Ausstellung, die uns vor einigen Jahren in Dresden gezeigt wurde. Es war eine Hygiene-Ausstellung im grossen Stil. Sie zeigte die physischen Leiden der Menschen und ihre Bekämpfung. Auch dort waren die Industrie und das Geschäft stark vertreten. Aber Handel und Wandel besassen eine ganz andere Orientierung als dies in Wien der Fall sein soll. Es waren die Geschäftszweige aufgestellt, die sich die Bekämpfung des Übels zur Aufgabe gemacht haben und nicht jene, die am Bestand und durch die Pflege des Übels profitieren. Eine Ausstellung von Industriezweigen, die von der Cholera, der Schwindsucht, dem Kretinismus profitiert, hätte man nicht zugelassen. Sie wäre auch gar nicht möglich gewesen, denn die Menschheit hat sich, vom Krieg abgesehen, überall zur Erkenntnis durchgerungen, dass das Übel bekämpft werden muss.

Eine Kriegsausstellung nach dem Grundsatz der Dresdener Hygieneausstellung würden wir mit Freuden begrüssen; sie allein wäre am Platz, jene Kriegsausstellung, die uns zeigt, wie der Krieg bekämpft werden muss und warum er bekämpft werden muss. Man beauftrage mich nur, ein Programm für eine derartige Ausstellung auszuarbeiten, man würde staunen, welche interessanten Objekte, Bilder, Statistiken etc. auszustellen wären und welch zukunftsreiche Perspektiven hier eröffnet werden könnten. Ein Geschäft für die Unternehmer wäre bei einer solchen Ausstellung nicht zu erzielen, aber ein um so grösserer Gewinn für die Völker, für die Menschheit. Die Staaten sollten nur ein Partikelchen von den Milliardenkosten dieses Kriegs hergeben, die Kosten einiger Stunden, und dieses wohltätige Werk wäre ausführbar.

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Was für ein dankbares Ausstellungsobjekt wäre z.B. jenes Rundschreiben, das mir gleichfalls heute aus Wien zugeht, worin ein seit 1873 bestehender Verein zur Errichtung von Kinderasylen milde Beiträge erbittet, um einige Kinder im Felde gefallener Väter unterbringen zu können. «Arme, von grossem Kummer bedrückte Frauen, deren Männer für die Ehre unseres Vaterlandes den Heldentod fanden, wenden sich flehentlich an uns um Aufnahme ihrer Kinder. Schwere Nahrungssorgen und die Unmöglichkeit, den verwaisten Kindern eine entsprechende Erziehung zu geben, lassen diese Bitte doppelt dringend erscheinen» usw.

Dieses Rundschreiben ist eine Dummheit, ist ein Skandal!

Eine Dummheit, weil man mit einem Suppenlöffel einen Fluss nicht ausschöpfen kann. Ein Skandal, weil ein Staat, der 60 Millionen und mehr täglich für einen Krieg ausgibt, der durch die Vergebung von Kriegslieferungen tausende neue Millionäre geschaffen hat, es einfach nicht gestatten darf, dass irgend ein Wohltätigkeitsduseler der Welt verkündet, dass Frauen im Krieg gefallener Bürger von «schweren Nahrungssorgen heimgesucht werden» und sich der «Unmöglichkeit» gegenüber befinden, «den verwaisten Kindern eine entsprechende Erziehung zu geben». Der Nutzen, der durch ein solches Bettelgesuch erreicht werden kann, indem 10 oder 15 von den unzählbaren verwaisten Kindern schliesslich ein Unterkommen finden, ist in keinem Verhältnis zu der Schädigung des Ansehens des Staates, das dadurch bewirkt wird. Österreich-Ungarn hat es mit seinem «Prestige» nicht für vereinbar erachtet, den serbischen Konflikt durch weitere Verhandlungen beizulegen, es kann es unmöglich mit seinem «Prestige» vereinbar ansehen, dass die Opfer jenes Kriegs durch Privatbettelei entschädigt werden sollen. Der mit Milliarden den Krieg führende Staat muss auch die paar Millionen bereit haben, «arme, von grossem Kummer bedrückte Frauen, deren Männer für die Ehre unseres Vaterlandes den Heldentod fanden» von diesem Kummer zu befreien!