Das Kriegstagebuch des Alfred H. Fried

Bern, 24. März.

Wieder einmal gehen Friedensstimmen durch die Länder. Friedensstimmen, die natürlich wieder dementiert und doch geglaubt werden. Man glaubt so gern, was man wünscht. Aber sollten der Glaube und die Gerüchte diesmal nicht doch einen Wirklichkeitshintergrund haben? In Deutschland scheint die Regierung den wildgewordenen Annexionisten gegenüber endlich die starke Hand zu zeigen. Die Besprechung der konservativ-nationalliberalen Anträge über die unbeschränkte Durchführung des Unterseebootkrieges im Reichstag wurde durch die Regierung verhindert. Der Abgang Tirpitz’ erweist sich immer mehr als ein Sieg der Staatsleitung über die Militärpartei, als ein Sieg der Vernunft über den imperialistischen Wahn. Die Lage scheint daher im höchsten Grad erregt zu sein. Als ob der innere Kampf zwischen den Weltherrschaftsideologen und der Demokratie sich zuspitzte. Die nächsten Tage müssen Regierungserklärungen im Reichstag bringen. Das fünfwöchige Riesengemetzel vor Verdun und seine bisherige Ergebnislosigkeit kann beiden Parteien die Augen öffnen. Vielleicht sind wir dem Augenblick näher als man zu hoffen wagt; wo man einsieht, dass die Gewalt ein untaugliches Mittel geworden ist.

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Eine Postkarte Egons aus dem Gefangenenlager in Turkestan, benachrichtigt mich, dass er meinen Artikel über die «Technik des Friedensschlusses» in der italienischen Übersetzung des «Corriere della sera» gelesen hat. Interessant festzustellen, dass die Kriegsgefangenen doch nicht so von der Welt abgeschnitten sind, wie man annimmt.

Ellen Key schreibt mir unterm 19. März: «Pessimistisch für die nächste Zukunft. Die alten Männer bleiben, um die Politik zu leiten, die jungen bleiben auf dem Rasen. Erst wenn die alten mausetot sind, und die nun Zwölfjährigen Leiter werden, können wir etwas hoffen». Trübe Aussichten. So ähnlich auch Prinz Z., der mir schreibt: «Ich kann nicht sagen, dass ich hoffnungsvoll in die Zukunft sehe. Vorläufig sehe ich nichts wie ungelöste Probleme und nicht die Menschen, die sie lösen könnten». Aber gleichzeitig sendet er mir einen Ausspruch Lincolns, der etwas trostreicher klingt: «You can fool all the people some of the time, you can fool some of the people all the time, but you cannot fool all the people all the time». —

Lia Cummins in ihrem Brief aus London vom 12. März: «Wie sehr vermisse ich Wien. Und wie froh bin ich, dass ich dort gelebt habe. Wenn dieser Greuel nur vorüber wäre». — So die Stimme einer «Feindin», die wir, weil die Leitartikler befehlen, um jeden Preis hassen sollen.