Das Kriegstagebuch des Alfred H. Fried

Bern, 17. September.

Seit gestern wieder hier im lieblichen alten Bern, mit der Absicht, den Winter hier zu verbringen. Auch mit der stillen Hoffnung, hier Zeuge des Friedensschlusses sein zu können. Dass Bern die Stadt des Friedensschlusses sein könnte, wird vielfach behauptet. Nur wird man gut tun, alsdann die Inschrift am Bubenbergdenkmal zu verhüllen, damit sich niemand ein Beispiel daran nehme. Diese lautet: «Solange in uns noch eine Ader lebt, gibt keiner nach.» Dieses stolz verewigte Beispiel eines Ritters aus dem 15. Jahrhundert könnte im 20. Jahrhundert böse Folgen haben. Aus Königsberg berichtet Kossak über Prof. M., der im Lazarett liegt. Dieser schrieb: «Ich habe Entsetzliches erlebt. War ich bisher Pazifist, so bin ich jetzt Pazifissimus.» Das ist die grosse Frage, die uns alle beschäftigt. Mit welcher Psyche werden jene zurückkommen, die diesen Krieg in den vordersten Reihen miterlebt haben. Werden uns Mitkämpfer erwachsen oder Gegner?

Eine Nummer der «Alldeutschen Blätter» vom 28. August d. J. kommt mir in die Hände. In dieser Nummer sucht das Blatt in einem, frühere Äusserungen zusammenfassenden Artikel («Alldeutsche Feststellungen zur Zeitgeschichte») den Nachweis zu erbringen, dass die Alldeutschen es waren, die das alles kommen sahen. Der Artikel schliesst mit folgender feierlichen Erklärung:

«Der alldeutsche Verband hat die Vorzeichen der Sturmflut rechtzeitig und zeitiger als viele andere Stellen erkannt. Er hat nicht minder rechtzeitig seine warnende Stimme erhoben. Er hat, trotz aller Angriffe, die er dafür erfuhr, mit seinem Warnen bis zur letzten Stunde vor der Flut nicht nachgelassen. Er hat sich also noch der grössten deutschen Schicksalstunde gegenüber tatsächlich erwiesen und bewährt als Gewissen des deutschen Volkes.»

Könnte das nicht alles und nicht mit mehr Recht, der Pazifismus sagen? Haben wir nicht die Gefahr festgestellt und vor ihr gewarnt? Haben wir uns also nicht als das Gewissen des Volkes mehr bewährt als die Alldeutschen, die diese Gefahr gefördert haben, während wir die Mittel gezeigt haben, ihr zu begegnen?

Ich möchte hier die Worte festhalten, die ich kürzlich in dem bemerkenswerten Buch von Ernst Müller-Holm «Der englische Gedanke in Deutschland; zur Abwehr des Imperialismus» gefunden habe. Dieser Mann, der durchaus kein Pazifist ist, schreibt (S. 132):

«Was uns vollends bei den Kulturnationen verhasst macht, das ist das unleidliche Gebaren der Alldeutschen. Alldeutsche heissen sie in der Politik, in der Wissenschaft heissen sie Rassentheoretiker. Will man wissen, was Rassentheorie ist? Es ist eine sogenannte Wissenschaft, die sich zum Zweck gesetzt hat, zu erweisen, dass die Deutschen die erste Nation der Welt sind, dass alle Kulturerrungenschaften seit Anbeginn der Geschichte von ihnen ausgehen, und dass ihnen mit Fug und Recht die Weltherrschaft gebühre. Schon vor Jahren habe ich, soweit meine Stimme Gehör fand, vor diesen Brunnenvergiftern gewarnt, habe auf die Gefahr hingewiesen, die dem Frieden durch ihr gemeingefährliches Treiben drohte. Ist es doch leicht zu begreifen, dass gerade die Schreier, die man hierzulande verlacht, im Auslande am meisten Beachtung finden ...»

So sieht ein Urteil über das Wirken der Alldeutschen in einem Kopfe aus, der sich der pazifistischen Lehre bislang fern gehalten hat. Wir haben diese Gefahr aber schon lange erkannt und uns gegen sie erhoben. Der Krieg zeigt wie sehr wir im Recht waren, und wie gefährlich dieses Treiben der Alldeutschen war. Ihnen muss nach dem Krieg unser Kampf gelten.