Das Kriegstagebuch des Alfred H. Fried

Lugano, 21. April.

Bewegung in Österreich. Der Kaiser hat deutsche Parlamentarier empfangen. Ansprache des Wiener Bürgermeisters Weisskirchner. Das Parlament soll einberufen werden. Aber nicht als ein selbstverständliches Recht der Völker, sondern als ein Gnadenakt der Krone.

Man findet in all den offiziellen Äußerungen, auch in den offiziellen und offiziösen Pressekommentaren, nicht einen Hauch der neuen Zeit, nicht eine Idee von Demokratie, nicht einen Schimmer von Staatenorganisation. Weisskirchner spricht von einem «mächtigen» Österreich-Ungarn, das aufgebaut werden muss, als ob nach dem Krieg der alte Wettlauf um die Macht wieder entbrennen sollte. Er spricht den gedankenlosen Satz:

«Die Völker Österreichs hoffen, dass die schweren Opfer dieses uns aufgedrungenen unerhörten Ringens um die Ehre und den Bestand unseres Vaterlands durch einen ehrenvollen Frieden belohnt werden usw.»

Älteste Phraseologie! Nichts von dem unerlässlichen Schutz der Völker gegen den Unfug dieses, Weltgeschichte genannten, Sporttreibens.

Das Wiener «Korr.-Bureau» versendet das übliche Stimmungsbild über die Blätterstimmen. «Freudige Genugtuung über die huldvollen kaiserlichen Worte, landesväterliches Wohlwollen für die Deutschen in Österreich.» — «Inniges und vertrauensvolles Verhältnis zur habsburgischen Dynastie» begrüßen (die Blätter), insbesonders die Absicht des Kaisers, den Reichsrat in nächster Zeit einzuberufen, wodurch alle Zweifel über die viel erörterte Frage der Wiederbelebung des parlamentarischen Lebens beseitigt erschien. — Höfische Journalistik! «Wiederbelebung des parlamentarischen Lebens.» Das klingt so wie «Eröffnung der Rennsaison», «Belebung der Karpfenfischerei» oder ähnliches. Die Blätter geben schließlich der Hoffnung Ausdruck, dass die Völker der Monarchie gewillt sind, «Österreich-Ungarn ... in Frieden . . . zu einem erhöhten Wohlstand zu führen . . .» «Erhöhter Wohlstand», nach 80 oder 100 Milliarden Schulden und drei jahren Krieg! Erhöhter Wohlstand! Und diese Art von Berichterstattung nach Millionen Erschlagener! Darum Räuber und Mörder! Alles bleibt beim alten Gedankenlosen wie einst im Mai? Keine Ahnung haben diese von der Welt abgeschnittenen Seelen, um was dieser Krieg geht.