Das Kriegstagebuch des Alfred H. Fried

Bern, 12. Dezember.

Harden spricht (9. Dezember) von «der von müder Sprachgewohnheit noch immer Krieg genannten Sintflut». Wie jetzt diese Gedanken alle aufspriessen, die uns Pazifisten schon so altvertraut sind. Wenn Bertha v. Suttner, auf den Krieg bezüglich, sagte: «Ist ein Bad, dessen Wasser siedend gemacht wurde, noch immer ein Bad,» wer verstand sie da?

Oder wenn ich in dem letzten (der stets ausgezeichneten) Fidelis-Aufsätze des «Vortrupp» 1. Dezember) lese:

«Der jetzige Krieg hat uns eben die grosse Wende offenbart, die seit dem Jahre 1871 von der Technik heraufgeführt worden ist. Infolge der Fortschritte der Technik hat nämlich der Krieg als solcher allem Anschein nach aufgehört, ein zweckmässiges Mittel zur Vertretung der Interessen einer Nation oder Nationengruppe zu sein, falls diese Interessen mit denen einer etwa gleich starken Nation oder Nationengruppe zusammenstoßen, was, wie die Dinge offenbar liegen, von jetzt an stets der Fall sein wird.»

Wer hat auf Bloch gehört, der es mit allen Mitfein darzulegen suchte, dass die Erfahrungen des letzten europäischen Kriegs von 1870/71 keinen Anhaltspunkt mehr für den modernen Krieg geben. «Von der Zeit des ersten Bogenschützen bis zum Jahr 1871 war die Entwicklung der Kriegstechnik nicht so gross und umwälzend, wie vom Jahr 1870 bis heute.» So schrieb er um 1900. Und wer hat auf Bloch gehört, wenn er den Inhalt seines (leider) sechsbändigen Werks zusammenfasste in die Lehre: der Krieg zwischen den gleichgerüsteten großen Militärmächten ist technisch, ökonomisch und sozial zur Unmöglichkeit geworden, er müsse, wenn dennoch unternommen, zum Ruin und Verbluten aller führen. — Wer hörte? Es scheint, ein Gesetz zu sein, dass die Menschheit nur durch Schaden klug wird.

Diese Fidelis-Aufsätze im «Vortrupp» sind auch ein Beweis der vollständig veränderten Mentalität des deutschen Geistes und der Durchdringung der deutschen Intelligenz mit der pazifistischen Idee. Wie merkwürdig! Die Zensurbehörde hat schleunigst alle Zeitschriften unterdrückt, wo darauf steht: Ich bin eine pazifistische Zeitschrift. Glücklicherweise kann sie sich jetzt nicht helfen, wo der also unterdrückte Pazifismus nun aus allen Druckspalten der gesamten andern Presse, bis in die konservativen Blätter hinein, hervorwuchert. Erinnert das nicht an die Jungens, die bei Donauwörth die Hand vor eine Qülle legen und sich sagen: werden die sich in Wien wundern, wenn jetzt plötzlich die Donau ausbleibt.

Was wird die heutige Reichstagssitzung, die so ungewohnt und so plötzlich einberufen wurde, bringen? — Frieden? Glaube kaum. Zum Frieden kann man 400 Menschen nicht brauchen. Die verdürben die Suppe. Wird wohl irgend etwas dynastisches herauskommen, der König von Polen proklamiert werden oder so etwas. Nun — morgen werden wir sehen.