Das Kriegstagebuch des Alfred H. Fried

Beatenberg, 17. Juni.

Höhepunktstimmung. Gestern dürfte die Antwortnote der Entente dem Grafen Brockdorff-Ranbau in Versailles übergeben worden sein. Wir kennen sie noch nicht. Man braucht aber keine große Kombinationsgabe zu besitzen, um sich vorzustellen, dass die Sieger von den ursprünglichen Bedingungen wenig abgegangen sein werden. Einige Konzessionen, Versprechungen für künftige Erleichterungen sind zu erwarten, mehr nicht.

Und binnen fünf Tagen soll die Regierung Deutschlands annehmen oder ablehnen. Wir sind also dem kritischsten Augenblick der Welttragödie ganz nahe. Noch in dieser Woche muss es zur Entscheidung kommen.

Die öffentliche Grimasse zeigt noch immer mit bitterm Ernst auf Ablehnung. Aber was ist es denn mehr als eine Grimasse. Die sie zur Schau tragen, wissen ganz gut, dass die Ablehnung nicht möglich ist, dass sie Selbstmord wäre. Sie verfolgen mit ihrer Taktik nur den Zweck, einen Verantwortlichen für die schließlich doch notwendige Unterzeichnung zu suchen. Sie erwarten den stärksten Druck, die ernsten Maßnahmen zur Fortsetzung des Kriegs seitens der Entente; um angesichts dieser Drohung die Unterzeichnung entschuldbar zu machen. Der Vertrag muss unterzeichnet werden. Es bleibt keine Wahl.

Aber hinter dieser Ablehnungsentschlossenheit lauert eine Gefahr. Die Stimmung, die sie im Volk erzeugt, noch mehr die Stimmung, die die unter äußerm Druck vollzogene Unterzeichnung hervorrufen muss, fördert die Macht der Reaktion. Ganz offen spricht man von dem zu erwartenden Putsch der Militärs zugunsten der Ersetzung einer Regierung, die die Restauration vorbereiten soll. Ich halte diesen Versuch auch für unausbleiblich. Die alten Geister wähnen ihre Zeit für gekommen. Sie müssen den Versuch wagen, das alte Regime wieder herzustellen. Doch hoffe ich, dass sie sich auch hier täuschen werden, wie sie sich über das Unternehmen dieses Kriegs getäuscht haben. Ich hoffe, dass sie an dem nun erwachten klugen Sinn des deutschen Volks zerschellen werden, und da mir dies notwendig erscheint, halte ich auch diese Auflehnung der Legitimsten für notwendig. Erst danach wird die Revolution gesichert dastehen und ihr Werk vollenden können. Nur um das teure Blut ist es schade, das hier wieder fließen wird.