Das Kriegstagebuch des Alfred H. Fried

Spiez, 12. August.

Eine Rede die Balfour (nach Zeitungsmeldungen vom 9. August) in Erwiderung einer pazifistischen Interpellation hielt, war zwar keine direkte Antwort auf jene Anfrage der «Norddeutschen Allgemeinen Zeitung», immerhin eine Antwort. Leider eine sehr schroffe und ablehnende. Die Entente hat durch ihre Erfolge an der Marne und jetzt zwischen Ancre und Avre Oberwasser erhalten. Es darf als feststehend angenommen werden, dass die mit soviel Versprechungen als letzter Schritt zum endgültigen Sieg im Frühjahr in Szene gesetzte große Offensive der Deutschen als gescheitert angesehen werden kann. Viele meinen, dass es die letzte Möglichkeit einer Entscheidung ist, die vereitelt wurde. Ich glaubte auch für den Fall eines Gelingens jener Offensive nicht an eine Entscheidung. Aber immerhin, für die deutsche Kriegspartei läge die Situation anders, wenn sie die deutschen Heere nach Paris und Calais gebracht, wenn sie, wie sie im Februar und März geheimnisvoll verkündete, die Engländer ins Wasser geworfen hätte. Jetzt aber, wo sie, statt ihr Ziel erreicht zu haben, auf dem mit so ungeheuren Opfern erreichten Weg nach rückwärts geht, jetzt ist die Aussicht auf einen entscheidenden Erfolg, ehe die Amerikaner in ausreichender Stärke da sind, nicht mehr vorhanden. Das Blättchen hat sich gewendet, und für die Besonnenen tritt die Unmöglichkeit eines deutschen Siegs in umrissener Klarheit hervor. Aber jetzt besteht die Gefahr, dass die Entente Fehler macht und im Hinblick auf die anrückende amerikanische Armee auf eine völlige Niederwerfung Deutschlands ausgeht. Zwischen Nichtsiegen und Besiegtwerden liegt ein großer Spielraum. Ein Deutschland, das zu siegen verhindert ist, ist noch immer stark genug, um sich lange und kraftvoll zu verteidigen. Eine Niederwerfung der Zentralmächte kann Jahre, kann viele Jahre dauern. Wäre das Ziel nicht früher und unter geringem Opfern zu erreichen? Ich glaube ja. Ich glaube, dass jetzt, wo die Westmächte sich gestärkt fühlen, der psychologische Moment zu einem Verständigungsfrieden gekommen ist. Viel Blut, Jahrzehnte des Elends könnten gespart werden.

Wahr ist es ja, was Balfour in seiner Rede als das große Hindernis hervorhebt, dass der deutsche Militarismus nicht etwa auf dem Ehrgeiz einiger Soldaten oder auf der Militärkaste beruht, «sondern vielmehr der Umstand, dass die deutschen Schriftsteller, Professoren, Theoretiker und Leute der Tat, Kaufleute und Historiker einmütig den Grundsatz anerkennen, die wahre Politik einer nach Größe strebenden Nation sei die Politik allgemeiner Vorherrschaft».

Wahr ist es! Aber der Krieg wird nicht wirkungslos im deutschen Volk geblieben sein. Schon wenn er jetzt abgeschlossen werden würde, muss er einen Bankrott dieser kleinen, aber schreienden Schar von Leuten bringen, und das neue, das europäisch gesinnte Deutschland hebt sich schon klar in seinen Umrissen ab.

Wie die Sache sieht ergibt sich daraus, dass die Alldeutschen mit dem alten Gaunertrick des «Hattet den Dieb!» beginnen. In dem Prozess, den die «Frankfurter Zeitung» gegen Houston Chamberlain angestrengt hat sagte dessen Verteidiger, der Obmann des Alldeutschen Verbandes, Rechtsanwalt Class, dass die «Frankfurter Zeitung» mit dem Schlagwort, Deutschland strebe nach der Weltherrschaft, hervorgetreten sei, und die «Deutsche Zeitung» (zitiert «Frankfurter Zeitung», 10. August 1918) macht Kühlmann mit seiner Äußerung über die Nichtbeendigung des Krieges durch militärische Mittel für die Schlappe zwischen Ancre und Somme verantwortlich. Diese Leute also, die das Verbrechen auf sich geladen, das deutsche Volk in diesen Krieg hineingetrieben zu haben, die den Weltbrand entzündeten, die auch dessen Endlosigkeit auf dem Gewissen haben, fangen bereits an, eine Schuld der andern zu konstruieren. Dies lässt erkennen, dass selbst jene Blinden die Lage zu wittern scheinen. — Wann wird aufgeräumt werden mit ihnen? Die Alldeutschen sind nicht das deutsche Volk. Sie sind eine Minderheit. Dass wir sie nicht los werden können, liegt an den Militärs, die sie stützen. Und das die Militärs es vermögen, liegt an dem Kaiser. Wenn er nicht mit den Militärs und den Alldeutschen wäre, hätten wir den Frieden.