Das Kriegstagebuch des Alfred H. Fried

Bern, 25. April.

Die Note Wilsons und Orlandos Antwort darauf wurden veröffentlicht. Es ist Wilsons Flucht in die Öffentlichkeit. Ist es der letzte Versuch Wilsons, seine Forderung des Rechtes zur Geltung zu bringen, oder bedeutet dieser Appell den Anfang seines Protestes? Wilson wendet sich gegen das Londoner Geheimabkommen, durch das jene Staaten benachteiligt werden, die von jenem Abkommen keine Kenntnis hatten. Das Abkommen hätte auch keinen Zweck mehr, denn Österreich-Ungarn, gegen das es gerichtet war, besteht ja nicht mehr. Wieder ertönen in dieser Kundgebung die Forderungen des Rechtes, die Forderung, «auf Grundsätzen anderer Art eine neue Grundlage für die Unabhängigkeit und das Recht» zu errichten.

«Auf die ausdrückliche Anerkennung dieser Grundsätze hin wurde die Initiative zum Frieden ergriffen. Auf ihnen muss das ganze Gebäude des Friedens beruhen. Wenn diese Grundsätze geachtet werden, muss Fiume das Tor der Ausfuhr und Einfuhr werden, nicht nur für Italien, sondern für die Gebiete nördlich und nordöstlich dieses Hafens Ungarn,Böhmen, Rumänien, Jugoslavien.»

Aber wer denkt an diese Grundsätze. Der Raub ist da, und jeder will den größtmöglichen Anteil daran haben.

Herr Orlando bemüht sich ja, in seiner öffentlichen Antwort auf Wilsons Note, auch als Beschützer des Rechtes und Begreifer der «neuen Zeit» dazustehen; es gelingt ihm nur nicht. Wie wenn man einen falschen Diamant neben einem echten hält, mutet Orlandos Kundgebung neben der Wilsons an. Die Prinzipien der Freiheit und Gerechtigkeit will auch Orlando nicht verleben, aber er hält die Menschheit für eine so gewaltige Sache, ihre Probleme für so verwickelt, «dass niemand glauben kann, in einer begrenzten Anzahl von Vorschlägen ein so einfaches und sicheres Mittel zur Lösung dieses Problems zu finden». Danach sind die Prinzipien der Freiheit und der Gerechtigkeit in der Theorie sehr schön, in der Praxis aber unanwendbar. Wie wir es immer gehört haben.

Was Orlando sagt, ist eine höfliche Verbeugung vor dem Wilsonismus, was er verlangt, ist die Lösung durch Gewalt. Er beruft sich darauf, dass die Alpenwand, dass Dalmatien das Bollwerk Italiens seit Jahrhunderten gewesen, und will es wieder errichtet sehen. Bollwerk? Gegen wen? Gegen wen anders als gegen die Prinzipien der Freiheit und des Rechtes.

Eine italienische Zeitung (Popolo d’ltalia) bezeichnet die Erklärung Wilsons als «die Tat eines Verrückten» und spricht von Wilson als den «Demagogenkaiser». In Mailand wurden Schmährufe gegen Wilson ausgebracht.

Wilson ist also den Annexionisten Italiens genau dasselbe was er den Annexionisten Deutschlands war, als er ihren Plänen sich entgegenstellte. Ein Hindernis, das begeifert wird.

Nein! Nein! Diese Vereinigung siegreicher Militärs, die da in Paris zusammensitzt, wird die Welt nicht erlösen. Sie vermag es nicht. Es widerspricht ihrem Wesen. Nur eine neue Menschheit kann die Erlösung bringen, die nicht darauf ausgeht, sich von den Feinden in den andern Ländern zu befreien, die man ihnen als solche bezeichnet, sondern die den Feind im eignen Land erfasst, die Feinde der Menschheit gemeinsam bekämpft.