Das Kriegstagebuch des Alfred H. Fried

Spiez, 5. August.

Der dritte Vorstoß der großen Offensive ist misslungen. Die Franzosen sind in Soissons eingerückt und dringen weiter vor. Sie drängen an die Aisne. Der deutsche Heeresbericht meldet kein Wort von Soissons und gefällt sich in Rätseln, die dem unkundigen Leser statt des Rückzugs einen Sieg Vortäuschen. Dieser Bericht vom 3. August trägt die Überschrift: «Die Bewegung der Armee Böhn. Gutes Gelingen der neuen Frontkorrektur.» Dann heißt es wörtlich:

«die großen Erfolge der Armee des Generalobersten von Böhn in der Schlacht am 1. August trugen zum vollen Gelingen der gestern durchgeführten Bewegungen bei. Auf unserm alten Kampfgelände lag bis zum frühen Morgen, an einzelnen Stellen noch bis 11 Uhr vormittags, Artilleriefeuer des Feindes».

Wenn es neben dem Majestätsbeleidigungsparagraphen auch einen Volksbeleidigungsparagraphen im deutschen Strafgesetzbuch gäbe, müsste der öffentliche Ankläger gegen eine solche Berichterstattung vorgehen, die von einer unerhört niedrigen Einschätzung der Intelligenz des deutschen Volkes zeugt. Es ist ein Rückzug, ein offenbarer Fehlschlag, und man frisiert einen Sieg daraus. Man spricht von dem «Gelingen» einer Bewegung, ohne zu sagen, dass die Bewegung nach rückwärts ging. Ist denn das Gedächtnis der Menschen wirklich so schwach? Vergisst man denn, dass diese Offensive angekündigt wurde als der Zwang zum baldigen Frieden, dass man dem deutschen Volk Calais und Paris versprach oder ruhig duldete, dass dies von allen möglichen Leuten dem Volk versprochen wurde? Gewiss ist es keine große Niederlage, die die deutsche Armee erlitt, aber es ist das Misslingen eines Planes, auf dessen Gelingen man die größten Hoffnungen gesetzt hat, es ist das Verschwinden der Hoffnung auf baldigen Frieden, es ist der Blick ins Uferlose dieses Kriegs. Und trotz aller Verschleierungen scheint man im deutschen Volk begriffen zu haben, was vorging. Denn Hindenburg und Ludendorff wandten sich mit beruhigenden Mitteilungen an die Öffentlichkeit. Ludendorff gab jetzt wenigstens offen zu, dass der strategische Angriffsplan nicht geglückt sei. Hinweis auf die blutigen Opfer des Feindes und die eigenen. «Pflicht, haushälterisch mit dem Leben der Truppen umzugehen.» Im fünften Kriegsjahr, nach Millionen Toten also, Pflicht, mit den Menschenleben zu sparen. Noch ein anderes Bekenntnis des Generalquaritermeisters ist von Interesse:

«Die Verstärkung des Feindes durch amerikanische Truppen . . . Unterschätzen wir nicht . . .»

Vor einigen Monaten hieß es noch anders: Ah bah!

Die Amerikaner mögen erst herüberkommen. Nun sind sie da. Nun wird es ernst. Sehr ernst sogar. In Wladiwostok sind die Japaner gelandet, um den Tschecho-Slowaken in Sibirien zu Hilfe zu kommen. Die Engländer haben die Murmanküste besetzt. Der sogenannte «Friede» von Brest-Litowsk wird erschüttert. Bald wird im Osten wieder eine Front stehen. Ob die Beruhigungen Hindenburgs und Ludendorffs ihren Zweck noch erreichen? Die «Frankfurter Zeitung» (3. August) beginnt ihren Leitartikel mit den Worten «Wozu kämpfen wir eigentlich, wenn das Schwert allein den Knoten der Weltprobleme nicht zu durchschlagen vermag?» Wozu? Um den Alldeutschen und den Allkriegerischen nachzuweisen, dass ihre Ideen Wahnsinn sind.