Das Kriegstagebuch des Alfred H. Fried

Bern, 28. Mai.

Grey hat am 24. im Unterhaus auf die Äusserungen des Reichskanzlers geantwortet. Man muss einsehen, dass die Konversation eigentlich schon im Gang ist. Nur befinden sich die Diplomaten noch in Hemdärmeln, jener Tracht, die durch den Krieg bedingt ist. Dadurch werden ihre Äusserungen von solcher Härte und Grobheit, was gerade das Gegenteil von dem erzielen muss, das erwünscht ist. Gerade zwischen Diplomaten, die sonst gewöhnt sind, sich in aalglatter Höflichkeit zu ergehen, muss diese «ungebundene» Sprache abstossend und hinderlich wirken. So kommt man nicht zum Ziel. Es muss eine Art Clearing-Haus für den Gedankenaustausch über den Frieden geschaffen werden. Die Diplomaten der Kriegführenden sollen über den Frieden nicht mehr direkt sprechen, auch nicht vor ihren Parlamenten, wo sie gezwungen sind, in kriegerischem Pathos sich gehen zu lassen. Sie sollen vielmehr ihre Ansichten neutralen Regierungen zugehen lassen. Diesen gegenüber müssen sie höflicher sein. Die neutralen Regierungen könnten dann untereinander diese Ansichten austauschen und durch Gegenfragen und Vorschläge die Divergenzen abzuschwächen, die Meinungen immer näher zu bringen suchen, bis die Diplomaten der Kriegführenden eines Tages soweit sind, sich den schwarzen Rock über die Hemdärmel zu ziehen.

Man brauchte nur den Artikel 8 des Haager Abkommens zu erfüllen. Jede kriegführende Gruppe wähle sich einen Sekundanten, der für sie spricht. Die Entente Amerika und die Zentralmächte Schweden. Der Gedankenaustausch der beauftragten Neutralen mag dann in Bern stattfinden, wo das eigentliche Clearinghaus zu errichten wäre. Durch eine solche Einrichtung könnte das Gespräch bedeutend abgekürzt werden. Es geht nicht an, dass man noch lange mit Missverständnissen laboriert, dass Aussenstehende fortwährend darauf hinweisen müssen, der Eine habe den Andern nicht richtig verstanden, der Reichskanzler habe das so, Sir Grey jenes so gemeint. Wenn jemals eine Zeit kostbar ist, so ist es die gegenwärtige, und es wäre angebracht, wo jeder Tag Tausende von Menschenleben und Hunderte von Millionen an Werten erfordert, sich weniger wie das Orakel zu Delphi zu gebärden, weniger in griesgrämigem Groll zu verzehren, und eine dem hohen Ziel angemessene Entschlossenheit zu Schau zu tragen.