Das Kriegstagebuch des Alfred H. Fried

Thun, 9. September.

Die mit Skepsis aufgenommene Nachricht, dass die Stellung des Grossadmirals von Tirpitz erschüttert sei, wird durch einen Artikel der «Neuen Zürcher Zeitung» bestätigt, in dem ein «gelegentlicher deutscher Mitarbeiter» vor den Gefahren warnt, die Deutschland dadurch drohen. Der Artikel, der «Tirpitz kaltgestellt» betitelt ist, behauptet, dass die Änderung im deutschen Unterseebootkrieg zu einem neuen Olmütz führe. Das ist eine Nachricht von höchster Wichtigkeit. Es bedeutet die Niederlage der Militärpartei, die nicht imstande war, die politischen Bedürfnisse des Volkes zu erkennen. Die gefährlichen Annexionstendenzen scheinen durch eine klügere Politik ersetzt zu werden.

Die «Norddeutsche Allgemeine Zeitung» erwidert die jüngsten Veröffentlichungen des Londoner auswärtigen Amts über die anglo-deutschen Verständigungsversuche mit der Veröffentlichung der zu jener Zeit mit dem Botschafter Metternich geführten Korrespondenz. Die Konversation wird also fortgesetzt. Leider über Vergangenes und nicht über Künftiges.

Heute besuchte mich Madame Y. aus Paris. Interessante Unterhaltung. Besonders bemerkenswert als mir dadurch klar wurde, dass, abgesehen von einer Minderheit, die Stimmung des französischen Volkes mit der Zeitungspsyche nicht überein stimmt. Es bestehe kein Hass gegen die Deutschen. Sie erzählte von dem Feldpostbrief eines einfachen Mannes, der seiner Frau verboten habe, die Deutschen «boches» zu nennen. Sie glaube, dass die Gegensätze nach diesem Krieg rascher zu überwinden sein werden als nach 1870/71, und dass unmittelbar danach die gemeinsame Arbeit für die Friedenssicherung werde einsetzen können.