Das Kriegstagebuch des Alfred H. Fried

Bern, 10. November.

Die Berichte Georg Queris im «Berliner Tageblatt» über die Somme-Schlacht zeichnen sich durch eine erschütternde Realität aus. Sie lassen die Hölle erkennen, die da unten lodert. Natürlich nur in jenem Ausschnitt, der die Gegner beleuchtet. Das ist unvollkommen, aber es gibt doch einen Anhalt für das Gesamtbild, das sich jeder konstruieren kann. In der Schilderung vom 7. November liest man folgende graünhafte Stelle:

«Schauerliches Kriegsgelände! Auch die Franzosen greifen weiter an. Es ist keine Last so gross, dass die ewig gehorsam bleibenden Poilus sie nicht immer wieder übernehmen würden. Rund acht Monate ist es her. Da kämpften sie im Wald von Avocourt im Frühjahrsregen. Hunderte versanken im Morast. Damals wie heute geschah es, dass Verwundete und Ermattete nichts anderes mehr waren als ein Brückenbehelf , den der Stärkere ohne Zaudern, ohne Erbarmen beschritt, wenn er nur endlich festen, reitenden Boden fand. Und jetzt im Vaastwald zusammengefrorene, durchnässte Menschen, tief im Schlamm stehend. Jeder Tag wird dem Unternehmen ungünstiger, aber die Befehle jeden Tags bleiben sich gleich: Der Wald von St. Pierre Vaast wird genommen! Trommelfeuer! Der Morast schluckt Granaten gierig und lässt sie oft in seinem sanften Schoss nicht zur Explosion kommen. Dann wieder reisst eine unsichtbare Dreckschleuder die Erde tief auf und schafft den Regenströmen ein breites Bassin, das vielleicht schon die nächste Stunde mit Toten und Sterbenden füllen wird. Gasschleier hängen in den zerfetzten Bäumen und warten auf die Windschauer, die sie zerstreuen sollen. Ein gemeiner abstossend hässlicher Kampf! Was soll hier ein Vorstoss? Die in Dreck und Wasser stehenden Verteidiger wehren ihn ab, während die Angreifer noch mit dem zähen Morast kämpfen. Ein tolles menschenverschlingendes Unterfangen ».

So sieht der Krieg in Wirklichkeit aus. Und später einmal wird man ihn wieder darstellen mit den Lügen der Kunst. Ich sehe die Denkmäler: Feldherrn in Parade-Uniform, hoch zu Ross, mit heldenhafter Pose, auf den Reliefs des Sockels glücklich strahlende Soldaten, ohne Rheumatismus, in schmucken Uniformen siegreich einziehend; sehe Gedenkfeiern in hohen Domen mit allem Glanz der Kirche, der Armee, der Gesellschaft zelebriert, sehe in Zeughäusern in netter Tapeziererleistung zerfetzte Fahnen und Schwerter trophäenartig aufgemacht, sehe die Buchläden mit goldbedeckten Prachtwerken voll belegt, die die Schönheiten des Erlebnisses bekunden werden. Doch ich hoffe auf den Widerstand der Vernunft, die durch das Ereignis so gestärkt werden wird, dass sie den sozialen Körper ausreichend immunisieren wird gegen all die schleichenden Versuche der Lüge.