Das Kriegstagebuch des Alfred H. Fried

16. April (Lugano) 1915.

ln Berliner Blättern beginnt ein Kampf um den «Hauptfeind». Der «Hauptfeind» soll nämlich jener sein, der auch nach dem Krieg als solcher betrachtet werden soll, während man mit den andern Feinden zu einem Einverständnis zu gelangen hofft. Bei der Beurteilung dieser Frage tritt natürlich der Zwiespalt der Weltanschauungen zum Vorschein. Während die Liberalen eine spätere Verständigung mit England befürworten und den «Hauptfeind» in Russland erblicken, sind die Konservativen unter der Führung der «Kreuzzeitung» und der «Deutschen Tageszeitung» natürlich gegenteiliger Ansicht. Die Letztern fordern wieder einmal die Verständigung mit Russland und Todfeindschaft gegen England. Das ist ja nur zu natürlich, denn die preussischen Konservativen sehen im Zarismus Geist von ihrem Geist und hassen England um seiner liberalen Institutionen wegen. Es ist schon an sich betrübend, jetzt wo unsre Jugend von jedem unsrer Gegner hingemordet wird, mit der Schaffung eines «Hauptfeindes» die andern Gegner zu Nebenfeinden zu machen, trotzdem auch diesem Nebenfeind unser Blut geopfert wird. — Der Hauptfeind ist der Krieg! Dann zeigt uns dieser Zwiespalt der Meinungen, wo des deutschen Volkes Hauptfeind in Wirklichkeit steht. Nicht draussen! —

Ist es nicht unerhört, den Gedanken einer Verständigung mit der halbasiatischen Macht auch nur zu ventilieren? Vergisst man, wodurch das deutsche Volk sich überhaupt für diesen Krieg begeistern konnte? — War es nicht das Ideal der Zertrümmerung der russischen Reaktion, die es in den Tagen des Rufs zum Kampf aufflammen liess? — Und jetzt wagt man, von einer künftigen Entente mit jener Regierung zu sprechen? Will man das Spiel aus der Zeit nach 1813—1815 wiederholen? Vergisst man, dass wir England und die Franzosen nur deshalb der Barbarei geziehen haben, weil sie mit Russland verbündet sind? Und nun finden sich im deutschen Reiche Leute, die dem deutschen Volk dieselbe Barbarei zumuten wollen!

Dieses Spiel wäre unerhört und ist nur fassbar, wenn man sich klar wird, dass die Hoffnung auf eine Verständigung mit Russland der letzte Rettungsanker der Konservativen ist, die infolge des Kriegs den Boden unter ihren Füssen bereits schwanken fühlen. Das wäre die bitterste Ironie, dass diejenigen, die am entschiedensten für den Krieg waren, durch ihn dahin getrieben werden sollten, ihre Rettung in der Verständigung gerade mit jenem Feind zu suchen, der am meisten dazu beigetragen hat, dass das deutsche Volk zu kriegerischem Aufflammen gebracht wurde.