Das Kriegstagebuch des Alfred H. Fried

Bern, 14. Oktober.

Auf Kühlmann folgte Lloyd George und Leygues und Briand und Ribot. Dem «Niemals» des Einen folgte das «Niemals» der Anderen.

«Keine Erklärung ist mehr im Stande, diesen schrecklichen Krieg zu verlängern als die, welche Kühlmann im Reichstag abgegeben, als er sagte, dass Deutschland um keinen Preis Frankreich die geringste Konzession bezüglich Elsaß-Lothringen machen werde. Wie lange auch der Krieg dauern werde, so ist England ganz entschlossen, Frankreich, seinen tapferen Verbündeten, zu unterstützen, bis es seine unterdrückten Kinder vom fremden Joch befreit hat.» So Lloyd George zu einer Deputation. (12. Oktober.)

So auch Ribot in der Kammer (13. Oktober):

«Es kann keinen Frieden geben, der für unsre Kinder eine Garantie gegen die Rückkehr eines so fürchterlichen Kriegs bietet, wenn die Ungerechtigkeit, die in Bezug auf Elsaß-Lothringen besteht, nicht aus der Welt geschafft wird.»

Also Fortsetzung des Kriegs!

Fortsetzung des Kriegs bis zum Sieg tönt es aus den Trinksprüchen des Zaren Ferdinand und Kaiser Wilhelms in Sofia.

Merken die Herren gar nicht, was sie alle bekennen, wenn sie nach dreieinviertel Jahren dieses Kriegs noch immer auf demselben Standpunkt stehen wie zu dessen Beginn, merken sie gar nichts, wenn ihnen kein anderer Ausweg bleibt als von der Fortsetzung des Wahnsinns die einzige Rettung zu erhoffen, und daß sie das Unmögliche ins Auge fassen: den Sieg beider Gruppen?

Sie merken nichts. Sie können es auch nicht merken, denn ihre Blindheit ist ja das Wesensmerkmal der Weltlage. Es ist der Bankrott des Kriegs, der Bankrott der Träger des Kriegssystems, den sie unbewusst zugeben müssen.

Dieser Trost bleibt uns.

Er vermag allerdings, das Leid wenig aufzuheben, das aus dieser verzweifelten Situation spricht.

Vielleicht ist die Rettung näher als man hoffen könnte.

Aus der Rede Asquiths in Liverpool (12. Oktober) spricht etwas, wie eine Dämmerung des Friedensgeistes. Sie ist leidenschaftslos und sachlich und stellt sich dar wie eine Diskussionsrede am grünen Tisch. Sie beschränkt sich mehr auf Fragen, denn auf schroffe Forderungen und gipfelt in der erneuten klaren Anfrage an die deutsche Regierung:

«Ist Deutschland bereit, als Hauptbedingung für den Frieden die Wiederherstellung Belgiens in diesem einzig verständlichen und reellen Sinn anzunehmen?»

Ganz anders sind die Töne in den Sofioter Toasten. Sie sprechen eine Sprache, die man überwunden glaubte, überwinden muss. Sie sind voll von jener militärischen Romantik, die wie ein Geisterspuk am hellen Tag anmutet. Sie sprechen noch immer von «herrlichen Waffentaten», von deutschem und bulgarischem Blut, das gemeinsam geflossen, von einem «unzerreißbaren Band der Waffenbrüderschaft», von «Routine der Feinde», von deren «Hochmut» und «Frevelsinn», von «Feindestücke», von «Hand in Hand», von «unlösbar verbunden» und ähnlichen aus dem Depot des militärischen Sprachschatzes geholten, recht verstaubten Dingen. Du lieber Gott, wie sehen diese Herren die Welt?--

Sie sehen sie durch ein Eisenbahnfenster. Kaiser Wilhelm sagt, dass er «auf der Fahrt nach Bulgariens Hauptstadt die große Genugtuung» hatte, sich «so mit eignen Augen davon überzeugen zu können, welche Blüte des Land unter E. M. erwirkt hat ».

Durchs Eisenbahnfenster, bei 80 Kilometer Fahrtgeschwindigkeit des kaiserlichen Extrazuges. Wahrhaftig diese Weltanschauung beruht auf schwacher Grundlage.

Und was bedeutet diese Sofioter Verbrüderung? Was bedeutet die Anwesenheit Kühlmanns dabei? Wohl am Ende eine Rückendeckung gegen das frondierende Österreich-Ungarn?

Der Bankrott des Kriegs und der Kriegsparteien wird auch durch die politische Krisis in Berlin deutlich veranschaulicht. Dass dieser Vertreter des Generalstabs beim Reichstag als Leiter der deutschen Politik im vierten Kriegsjahr eine Unmöglichkeit ist, wird nun fast allen Parteien klar. Man kann sich gar nicht vorstellen, dass Herr Dr. Michaelis noch länger an der Spitze der Regierung bleibt. Das war vorauszusehen. Ich habe es hier gleich zu Beginn seines Amtsantritts vorausgesagt. Er ist der Exponent der Militärs, und diese Menschenkaste ist nicht fähig, grob und tief zu denken. Die Blamage des Herrn Michaelis ist die Blamage des Militarismus und das deutliche Zeichen seines Bankrotts.

Diesen Bankrott beweisen auch die Zensurdebatten in Berlin und Wien. Im Reichstag die 25. seit Beginn des Kriegs. Und der Staatssekretär des Innern musste zugeben, dass eine Milderung der Zensur nicht möglich ist, «solange die Kanonen sprechen». Sie ist auch nicht möglich! Denn, wenn man gegen den Krieg und die Krieger alles sagen dürfte, was das Volk denkt, dann wären beide unmöglich. Der Krieg und die Krieger leben nur durch die Lüge, durch die Verschleierung. Sie müssen das Wort und den Gedanken knebeln. Und dies beweist zur Genüge die Hohlheit der Grundlagen ihrer Herrschaft. Es kann der Zusammenbruch dieser Herrschaft hinausgeschoben aber nicht mehr verhindert werden.

Das Urteil der Verdammung hat sich diese Institution selbst gesprochen. Nichts hält ihre Vernichtung mehr auf.