Das Kriegstagebuch des Alfred H. Fried

Bern, 31. Mai.

Gestern ist das österreichische Parlament zusammengetreten. Lang ist es her! Dass es bei seinem Zusammentritt den Nachruf für den ermordeten Erzherzog nachholen musste, mutet historisch an. Man sprach von Dingen also, die in einem andern Zeitalter lagen. Und indem diese Körperschaft ihren Zusammenhang mit Vergangenem herstellen wollte, kommt sie mir vor wie der Held in Bellamy’s Rückblick, der — so glaube ich — zweihundert Jahre geschlafen und dann in einer völlig veränderten Welt erwachte. Die Männer, die diese Körperschaft bilden, werden sich gar bald orientieren und hineinfinden müssen in die neue Zeit, die mittlerweile angebrochen ist.

Die zehnte Isonzoschlacht scheint wieder einen Höhepunkt in diesem Wahnsinn zu bedeuten. Die Italiener melden am 29. Mai:

«Die 23,531 in den italienischen Berichten gemeldeten Gefangenen stellen nur einen geringen Teil der Opfer an Toten und Verwundeten dar, die die Österreicher erlitten haben. Zehntausende Leichen bedecken das Schlachtfeld. Die Zahl der Verletzten ist ungeheuer groß. Ganze Divisionen existieren nur noch dem Namen nach, andere haben sehr gelitten usw.»

So meldet der Angreifer über die Verluste des Verteidigers. Wieviel Tausende der Italiener bedecken alsdann die graue Steinfläche des Karst? — Und so im Westen, und so auf den Meeren, und so in Tod und Elend über der ganzen Erde, und dem gegenüber verharren die alldeutschen Geschäftskrieger bei ihrem starren Wahn eines Friedens durch Eroberungen «in Ost und West und Übersee».