Das Kriegstagebuch des Alfred H. Fried

Bern, 6. März.

Minister Pichon hat bei der letzten Feier in der Sorbonne eine Depesche veröffentlicht, die Reichskanzler Bethmann Hollweg am 31. Juli 1914 an den deutschen Gesandten von Schön in Paris gesandt hat. Darin wurde der Gesandte beauftragt, für den Fall, dass Frankreich sich einverstanden erklären sollte, in dem Krieg Deutschlands mit Russland neutral zu bleiben, die Besetzung von Toul und Verdun durch deutsche Truppen zu fordern.

Das also war die Höhe staatsmännischer Weisheit in den für die Menschheit so kritischen Tagen des Juli und August 1914! Man glaubte also einer Großmacht, einem so stolzen Volk wie dem französischen zumuten zu dürfen, zwei seiner wichtigsten Festungen zu besetzen und es unter die Bewachung der deutschen Armee zu stellen. Das wäre eine Provokation gewesen, nichts anderes als die — im militärischen Sinn — «Rettung» des Kriegs für den Fall, dass Frankreich doch hätte zurückweichen wollen. Die Instruktion beweist, wie sehr der Reichskanzler am 31. Juli 1914 bereits ein Werkzeug in den Händen der Militärs war, denn jene Forderung ist nicht die eines Staatsmannes, sondern die eines Soldaten, der unter allen Umständen dreinhauen will. Frankreich konnte durch eine solche Forderung nicht vom Krieg abgehalten, sondern musste in ihn mit Gewalt hineingetrieben werden.

Das war also die Staatsmannskunst von damals! Ich hatte sie mir allerdings anders vorgestellt in jenen Tagen.

Am 7. August 1914 schrieb ich in dieses Tagebuch: «Vielleicht könnte ein großer Staatsmann noch alles retten. Deutschland soll, um den Preis eines Bündnisses mit Frankreich und England, Elsaß-Lothringen zu einem neutralen Staat machen.» Viel Blut hätte erspart werden können, wenn es so gekommen wäre. Aber das hätten die Generale nicht erlaubt.

Wieder ist ein «Hilferuf» ertönt. Diesmal kam er aus Finnland. Und bereitwillig schickt die deutsche Regierung Truppen in das Land der tausend Seen, lässt sie die Aalandinseln besetzen, dieses alte Streitobjekt zwischen Russland und Schweden, die, vor den Toren Stockholms gelegen, die schwedische Hauptstadt bedrohen. Die Verstimmung in Schweden ist groß. Aber was kümmert das die Militärs? Sie folgen «Hilferufen». Es wird nötig sein, völkerrechtlich festzustellen, wer in einem Land berechtigt ist, die Armee eines andern Landes «zur Hilfe» zu rufen, und in welchen Fällen dem «Hilferuf» Folge geleistet werden darf. Jetzt wird es jeder Regierung leicht,


in irgendeinem Land ein paar Leute zu finden, die Aufforderung um Hilfe ergehen lassen, wenn man aus irgendeinem Grund in ein Land einmarschieren will.