Das Kriegstagebuch des Alfred H. Fried

Bern, 1. Februar.

Heute können wir das Jubiläum eines militärischen Irrtums feiern. Der verschärfte U-Bootkrieg ist ein Jahr alt. Die dem Volk vorgemachte Illusion, dass diese Methode der Kriegführung in drei bis höchstens sechs Monaten den Frieden bringen wird, zerstiebt ins Nichts. Der Friede ist heute, nach einem Jahr dieses Unterseebootkriegs, ferner denn je. Schädigung mag er den Gegnern gebracht haben. Darob kann kein Zweifel bestehen. Aber es ist falsch, die Sache damit abzutun. Den Frieden, den er bringen sollte, brachte er nicht. Die militaristische Kombination hat sich, wie immer wenn es sich dabei um politische Vorbestimmungen handelt, als falsch erwiesen. England, das Schwierigkeiten mit seiner Ernährung hat, ist deswegen nicht auf die Kniee gezwungen, ist noch lange nicht besiegt, hat aber in Amerika, das ohne Unterseebootkrieg niemals in den Krieg getreten wäre, einen starken Bundesgenossen erhalten, der Millionen neuer Menschen nach Europa schicken wird, ausgestattet mit den modernsten technischen Mitteln zur Tötung und Zerstörung. Es ist auch nur zu klar, dass der Friede schon längst erreicht worden wäre, wenn die Militärs ihren Unterseebootkrieg nicht hätten ausführen dürfen, dass er durch dieses militärische Mittel verhindert wurde. Wenn etwas die Unfähigkeit des Militärs, politisch zu denken, beweist, so ist es dieses Fiasko des Unterseebootkriegs.

Sie freuen sich an der Zahl der versenkten Tonnen. Die Jahresbilanz wird eine ganz erkleckliche Zahl von Millionen aufweisen. Es wird aber interessant und wichtig sein, dieser Kreditseite an vernichteten Feindesgütern das Debet der eigenen Kosten eines ganzen Kriegsjahres mit seinen Leidien und Krüppeln gegenüber zu stellen. Das wird sich als ein teures Husarenstückdien herausstellen, umso teuerer als es zwecklos gewesen sein wird.

Aber es ist nicht nur teuer, sondern auch für Deutschland gefährlich. Deutschland sägt ja auf dem Ast, auf dem es sitzt. Die Verarmung, die durch die fortgesetzte Güterversenkung eintritt, macht vor Deutschland nicht halt. Auch das deutsche Volk wird dereinst den Mangel spüren, der die Welt als Folge dieses verzweifelten Kriegsmittels befallen wird.

Das sind die Folgen der Militärpolitik. Aber steht Deutschland nicht heute wiederum auf dem Sprung, einen neuen militärpolitischen Fehler zu begehen, eine Aktion zu unternehmen, die nach Ansicht ihrer militärischen Urheber, den Frieden in kurzer Zeit bringen soll, und die doch nichts anderes bringen kann als eine weitere Verlängerung des Kriegs! Die geplante Offensive im Westen hat mit dem U-Bootunternehmen eine gewaltige Ähnlichkeit.

Aus Deutschland werden große Streiks gemeldet. Aus den offiziellen Telegrammen, die sich bemühen, die Vorgänge als harmlos hinzustellen, ist der ganze Umfang der Ereignisse nicht zu erkennen. Es scheinen doch im Reich, viele Millionen Arbeiter die Arbeit eingestellt zu haben. Dass auch schon Blut floss, meldet heute ein Berliner Telegramm, das von einer größeren Menschenmenge sprach, die auseinandergetrieben wurde. «Dabei wurden Schüsse gewechselt.» «Gewechselt» ist gut. Es gab Tote und Verwundete. Der Streik, der spontan ausgebrochen sein soll, wird jetzt von beiden sozialdemokratischen Parteien geleitet. Er ist ein in erster Linie gegen den Krieg, die Kriegstreiber und Kriegsverlängerer gerichteter Vorstoß. Das beweist das von den Streikenden laut «Vorwärts» aufgestellte Programm: Das lautet:

1. Schleunige Herbeiführung des Friedens, ohne Annexion, ohne Kriegsentschädigung, auf Grund des Selbstbestimmungsrechts der Völker, entsprechend den Ausführungsbestimmungen, die dafür von den russischen Volksbeauftragten in Brest-Litowsk formuliert wurden.

2. Zuziehung von Arbeitsvertretern aller Länder zu den Friedensverhandlungen.

3. Ausreichende Nahrungsmittelversorgung durch Erfassung der Lebensmittelbestände.

4. Der Belagerungszustand ist sofort aufzuheben, das Vereinsrecht tritt vollständig wieder in Kraft, ebenso das Recht der freien Meinungsäußerung in der Presse und in den Versammlungen.

5. Die Militarisierung der Betriebe ist gleichfalls aufzuheben.

6. Alle wegen politischer Kundgebung Verhafteten sind sofort frei zu lassen.

7. Durchgreifende Demokratisierung der gesamten Staatseinrichtungen in Deutschland und Einführung des allgemeinen, geheimen und gleichen Wahlrechts.