Das Kriegstagebuch des Alfred H. Fried

26. November (Bern).

Die gestrige «Gazette de Lausanne» enthält eine Reuterdepesche vom 25. November, wo wiederum vom Frieden die Rede ist. Danach betreibe der bekannte New-Yorker Bankier Schiff eine Propaganda für den Friedensschluss auf der Grundlage, dass kein einziges Land gedemütigt und keinem nur ein Stückchen seines Gebietes genommen werde.

Der Ton der Reutermeldung ist zwar ablehnend, doch merkt man, dass es sich wohl um einen ballon d’essai handeln könnte.

Ein Frieden auf dieser Grundlage wäre natürlich der grösste Erfolg der Friedensbewegung. Er würde nicht nur die namenlosen Schrecken des Krieges demonstriert haben, sondern auch die Unmöglichkeit, durch einen Krieg zu einer Lösung zu gelangen, die «Utopie des Krieges».

Dass es zu einem solchen Frieden jetzt kommen kann, erscheint natürlich ausgeschlossen. Wenn soviel Vernunft in der Welt wäre, wäre es ja nie zum Krieg gekommen. Die Regierungen werden ihren Völkern für das von ihnen vergossene Blut, für die von ihnen gebrachten Opfer etwas geben wollen, etwas, das im alten Sinn den nationalen Ehrgeiz befriedigt. Sie werden also alle siegen wollen. Da das nicht geht, und keiner sich besiegt erklären wird, solange er noch die geringste Widerstandsmöglichkeit besitzt, wird der Krieg leider bis aufs äusserste geführt werden müssen. Es sei denn, dass der Remis-Status sich aufrecht erhält; dann wird der von Schiff propagierte Friedensvorschlag in einem spätem Stadium wieder aufgenommen und nach unendlich schwereren Opfern dann angenommen werden. Es dürfte sich die Fabel der sybillinischen Bücher wiederholen.

Dieser Schiffsche Vorschlag brächte jetzt keine nationale Befriedigung im alten, wohl aber eine Bereicherung im modernen Sinne; denn es würde die Staaten zu dem von uns ersehnten System der Kooperation bringen und den Grund zu einem neuen Europa legen. Das wäre eine Bereicherung für jedes Volk.