Das Kriegstagebuch des Alfred H. Fried

Bern, 26. Oktober.

Einige Tage in Zürich. Interessante Leute gesehen. f. — München voll Zuversicht für die Zukunft. Erwartet alles von der Jugend. Eggenschwyler, ein modern denkender Nationalökonom, der die wirtschaftliche Illusion der Kriegswirtschaft aufdeckt. Er wird Norman Angell wertvoll ergänzen. Frl. Sturzenegger schilderte mir das Kriegselend in Serbien in grauenhaften Farben. Es ist Fürchterliches, was sie erlebt und gesehen hat. Sie durfte in ihren Schriften und Vorträgen nicht alles sagen. Die Schweizer Zensur sähe in der offenen Darlegung eine Verletzung der Neutralität. Sie sagte, wenn Dunant das erlebt hätte, er wäre verzweifelt. Was er 1859 in Solferino gesehen, wäre gar nichts gegen den Jammer der jetzigen Kriege, trotz rotem Kreuz.

Mittlerweile gab’s neue Kriegserklärungen. Auch Italien erklärte Bulgarien den Krieg.

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Was ist die «Friedens-Warte»?

— «Die Friedens-Warte ist ein Organ, das sich so stellt, als ob es der Versöhnung der Völker diene, und das dieser Aufgabe durch mehr oder minder versteckte Ausfälle auf die deutschen Staatsmänner zu dienen glaubt». So definiert die «Freisinnige Zeitung» in Berlin, wie ich glaube das Zentralorgan der freisinnigen Volkspartei, in ihrer Nummer vom 9. Oktober meine Zeitschrift. «Die sich so stellt»! — Das ist «Burgfrieden» und das ist «Freisinn». — Diese Definition ist jedoch nur die Einleitung zu einem viel unerhörteren Angriff gegen den in der Septembernummer meiner Zeitschrift erschienenen Artikel des Prälaten Dr. 

Giesswein,

Mitglied des ungarischen Reichstags und Präsidenten der ungarischen Friedensgesellschaft. Zur Ehre der «Freisinnigen Zeitung» will ich annehmen, dass ihr der Artikel in seinem vollen Wortlaut gar nicht vorgelegen hat, sie vielmehr einer Mystifikation zum Opfer fiel, die von einem verärgerten Pazifisten ausgeht. Ein solcher treibt seit Kriegsbeginn sein Unwesen dadurch, dass er einzelne Sätze aus meiner Zeitschrift aus dem Zusammenhang reisst und entstellt, mit gehässigen Glossen versehen, an die Öffentlichkeit zerrt. Schon der Umstand, dass die «Freisinnige Zeitung» mein Blatt als «Friedens-Warte» bezeichnet, spricht für meine Annahme. In der Tat heisst die Zeitschrift jetzt ganz anders, und nur im engsten Kreise wird sie noch mit dem alten Titel bezeichnet. Es ist zu wichtig, diesen Angriff hier festzulegen. Er ist ein Dokument für die Zeit.

Prälat Giesswein hat in seinem «Französische und deutsche Katholiken über den Krieg» bezeichneten Artikel Deutschland gegen die Angriffe verteidigt, die in der bekannten französischen Streitschrift «La guerre allemande et le catholicisme» enthalten sind. Ich sage: verteidigt! Er tut dies, indem er die gegen jene Anklägerschrift erschienene Abwehrschrift «Der deutsche Krieg und der Katholizismus» ins Feld führt und deren Ausführungen zustimmt. Ich sage: zustimmt! — Man lese den Artikel nach. Auf die Angriffe des französischen Erzbischofs Mignot, der die deutsche Kriegsführung mit der Attilas und Tamerlans vergleicht, erwidert Giesswein: «Monseigneur, wir brauchen nicht so weit in der Geschichte zurückzugehen, es genügen hundert Jahre, bis zu Napoleon, den man den Grossen nennt!»

«Nicht die Deutschen sind Barbaren — das ist ein Irrtum der Franzosen — der Krieg, ein jeder Krieg ist barbarisch» so weist der ungarische Prälat die Angriffe der französischen Katholiken weiter zurück. — Er sagte ferner: «Ganz richtig bemerkt, darum die deutsche Abwehr, das «c’est la guerre», womit deutsche Soldaten und Offiziere — und zwar auch gute Katholiken —, die verschiedenen Unzukömmlichkeiten des Krieges zu entschuldigen suchen, wolle nicht besagen, man hätte die deutschen Soldaten gelehrt, der Krieg gestatte alle Verbrechen und Greuel, sondern es bedeute nur soviel, dass im Kriege allerlei schreckliche Dinge vorkommen, notwendige und nicht notwendige, erlaubte und nicht erlaubte».

Und in diesem Sinn ist der ganze Artikel geschrieben. Er ist die wärmste Verteidigung des deutschen Heeres gegen französische Angriffe, die man sich nur vor stellen kann. Und da kommt die «Freisinnige Zeitung» und spricht von jenem Artikel als von «einem überaus bösartigen Angriff (!) auf die deutschen Truppen, deren Vorgehen in Belgien mit den Schandtaten der Pariser Kommune auf eine Stufe gestellt wird». Dann heisst es dort weiter: «Giesswein stützt sich dabei auf die Angaben jenes berüchtigten französischen Pamphlets «La guerre allemande et le catholicisme», gegen das die deutschen Katholiken unlängst eine ebenso würdige wie überzeugende Gegenschrift veröffentlicht haben». Die «Freisinnige Zeitung» verschweigt die Tatsache, dass sich Dr. Giesswein auf jene französische Schrift nicht nur nicht stützt, sondern deren Bekämpfung zum Gegenstand seines Artikels gemacht hat, und noch mehr, dass er sich dabei in der Tat auf die deutsche Gegenschrift «stützt».

Es heisst in der «Freisinnigen Zeitung» weiter:

«Trotzdem bekommt es Dr. Giesswein fertig (!), von «Füsilierungen von einer nicht unbedeutenden Anzahl von Priestern in Belgien durch deutsche Truppen zu reden und hierüber Aufklärungen zu verlangen».

Wie verhält sich diese Darstellung zur Wirklichkeit? Wie sieht die Unverschämtheit aus, mit der es der ungarische Priester «fertig» bringt, «Aufklärung zu verlangen»? — Er sagt (und das verschweigt die «Freisinnige Zeitung»): «In betreff der ,belgischen atrocities’ wird zwar mit Berufung auf Kundgebung belgischer Kirchenfürsten eines der rohesten Verbrechen, die angebliche Vergewaltigung von Nonnen als ,nicht bestätigt’ dargetan, und manche schwere Beschuldigungen über ganz unnötige Misshandlungen einzelner Priester werden durch unabweisliche Zeugenaussagen entkräftet, aber wir hätten doch noch etwas Näheres zu erfahren gewünscht über die Ursachen und Umstände der Füsilierung von einer nicht unbedeutenden Anzahl von Priestern». Das ist nun die unverschämte Forderung! Der Verfasser hat mit jenem Satz nichts weiter gesagt, als dass die Zurückweisung der französischen Anklagen in der deutschen Denkschrift eine Lücke enthält, über die er «doch noch etwas Näheres zu erfahren gewünscht» hätte.

Nun kommt jener Satz, durch den sich die «Freisinnige Ztg.» für berechtigt erachtet hat, Dr. Giesswein vorzuwerfen, dass er das Vorgehen der deutschen Truppen in Belgien mit den «Schandtaten der Pariser Kommune» auf eine Stufe gestellt habe. Er schliesst sich an die im vorhergehenden Absatz wiedergegebene, von der «Freisinnigen Zeitung» nicht reproduzierten Worte an, und lautet:

«Es mag schon sein, dass einer oder der andere dieser Herren in seiner wohlgemeinten, doch schlecht angebrachten Begeisterung oder Entrüstung nicht mit der erforderlichen Klugheit und nicht mit vollkommener christlicher Ergebenheit und voller Demut seines Amtes gewaltet hat, (Giesswein tadelt also schon im voraus das Verhalten jener Geistlichen, über deren Füsilierung er doch erst «Näheres zu erfahren» wünscht!), aber diese peremptorische Exekution, diese, wenn auch nur schwache (!!) Nachahmung der Kommune, müssen wir, solange wir keine näheren Auskünfte erhalten (!!!) — (und jetzt kommt das Bösartige!) als ein so ungemein schreckliches Ding betrachten, dass es nie mehr gut gemacht werden kann».

Und folgenden Schlußsatz hat die «Freisinnige Zeitung» vergessen noch hinzuzufügen: «In dieser Beziehung bedarf die Abwehr unbedingt einer Ergänzung ...» !!!

Also: Ist es wahr, dass Dr. Giesswein «das Vorgehen der deutschen Truppen in Belgien mit den Schandtaten der Pariser Kommune auf eine Stufe gestellt» hat? — Hat er nicht vielmehr bloss bedauert, dass die deutsche Abwehr verschiedene französische Angriffe, die sich auf Vorgänge beziehen, die eine, wenn auch nur schwache Ähnlichkeit mit der Kommune haben, nicht in befriedigender Weise zurückgewiesen hat? Hat er etwas anderes getan, als um die Vervollständigung jener Abwehr gebeten, die er sonst so vollkommen schlagend findet? —

Wie kann man es zuwege bringen, zu behaupten, dass Dr. Giesswein «eine Anklage wegen angeblicher Massenfüsilierungen belgischer Priester» erhoben habe, und es als «wünschenswert» erklären, dass er diese Anklage mit etwas greifbaren Beweisen versehen hätte. Das ist in der «Freisinnigen Zeitung» behauptet und gefordert worden! Dr. Giesswein, der darlegt, man habe französische Anklagen nicht scharf genug zurückgewiesen, wird beschuldigt «eine Anklage» erhoben zu haben, die er nicht genügend bewiesen habe. Ja, der Angriff der «Freisinnigen Zeitung» schliesst mit dem unglaublichen Satz: «Umso bezeichnender ist es, dass Dr. Giesswein auf die Autorität der französischen Schmähschrift hin, diese «peremptorische Exekution» als kaum noch bezweifelbare Tatsache betrachtet (!! «Wir hätten doch noch etwas Näheres zu erfahren gewünscht». — «In dieser Beziehung bedarf die Abwehr unbedingt einer Ergänzung» !!) und auf Grund dessen die deutschen Truppen schmählich beschimpft (!! Man lese oben das Zitat aus Giessweins Artikel «Ganz richtig bemerkt darum» usw. um die Frivolität dieser Behauptung zu erkennen!).

Und warum ich dies so ausführlich hier festlege? — Um für spätere Zeiten festzuhalten, wie in dieser «grossen Zeit» von gewissen Seiten gekämpft wurde. Wäre die Zeit nicht so gross, ich hätte gute Lust, das kochende Blut meiner Adern hier in entsprechende Laute umzuwandeln. Die «Freisinnige Zeitung», die die «Friedens-Warte» als ein Organ hinstellt «das sich so stellt, als ob es der Versöhnung der Völker diene», hat den Artikel des Dr. Giesswein, den sie angreift, nie gelesen.

Und noch weniger die «Breslauer Zeitung», die den Angriff der «Freisinnigen Zeitung» einfach übernimmt. Sie fügt aber (12. Oktober) hinzu, dass «jetzt ein Teil der Friedensfreunde und ein Teil ihrer Presse durch den Krieg derart in geistige Verwirrung geraten sind, dass ihr Treiben einfach vaterlandsverräterisch oder vaterlandsfeindlich ist». Das Wort «vaterlandsverräterisch» oder «vaterlands-feindlich» scheint jenen Leuten so geläufig zu sein, dass sie es sogar anwenden, wenn sie einem ungarischen Politiker angebliche Vergehen gegen Deutschland vorwerfen.

Trauriges Pack! Und armes deutsches Volk, das aus solchen Quellen seine Informationen bezieht.

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Ende Oktober! Die Glossen über die Nobelpreise und die gehässigen Witze über den Friedenspreis erscheinen pünktlich in der Tagespresse, wie die Kastanienbrater an den Strassenecken. In der «Vossischen Zeitung» (20. Oktober) pennylinert (oder deutsch: zehnpfennigzeilt) einer in 34 Zeilen über die diesjährige Verteilung, deren Vertagung er als wahrscheinlich hinstellt. Dann witzelt er originell über die Friedenspreise:

«Die Hinausschiebung hat ja umso weniger zu besagen, als später alle zurückgestellten Preise mit einem Male zur Austeilung gelangen und nach dem Abschluss des Kriegs ein besonders hervortretendes Friedenswerk bilden werden. Nur die Friedensfanatiker sind, wie stets, wenn ein Friedenspreis zurückgestellt werden soll, auch jetzt mit der Zurückhaltung unzufrieden. Dazu haben sie allerdings auch Grund. Denn sie wirkten ja für den dauernden Frieden, und dieser schöne Zustand wäre auch sicher bestehen geblieben, wenn nicht — der Krieg dazwischen gekommen wäre».

Hihi! — Man sollte es nicht glauben, wie geistreich solch ein Trottel sein kann. Und doch sind diese Witzeleien ernster zu nehmen, als man es tut. Dieses Beinchenheben an jeder Ecke des Friedensproblems sollte verhindert werden. Es sind Schädlinge der Gesellschaft, die es sich zur Aufgabe machen, die Friedensbewegung herabzusetzen. Diese Witzbolde sind die Mitmörder unserer Kinder. Daher Achtung! Und gebührende Abwehr!

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Interessant Harden über die Einkreisungspolitik. Er spricht (Nr. 4 vom 23. Oktober) über Delcassé und sagt:

«Auch Eduard, sein kluger, jedes Lebensdranges kundiger Patron, war uns nicht feind und wollte nicht Krieg (!). Da ich als Erster von der Absicht auf Einkesselung, Einkreisung des Deutschen Reiches sprach, als Erster auf das Verhältnis der Weltmächte zu uns diese Wörter anwandte, muss ich wissen, welcher Sinn aus ihnen warnen wollte. Eduard fürchtete das Reich des Neffen, mit dem er nie in Empfindenseinklang kam, wolle sich in Vorherrschaft über Europa recken, seine Flotte, der eine andere lohnende Aufgabe nicht erdenklich schien, und seine Macht über den Islam einst zum Vorstoss gegen Englands Seegewalt gegen Egypten und Indien nützen; er kannte es aus Vickys, Hirschs, Cassels Berichten und aus hurtiger Beobachtung gut genug, um zu ahnen, dass es zur Ausführung solches Planes bald fähig, von den Heeren Frankreichs und Russlands nicht zu hemmen sein werde, und erstrebte darum, einen Staatenpool, eine kräftige Abwehrgemeinschaft, deren Dasein schon Deutschland einschüchtern, zum Verzicht auf ungestümen Vordrang zwingen könne».

Es ist mutig, über die sogenannte «Einkreisung» jetzt zu sagen, was wir von allem Anfang an darüber gesagt haben. Nicht um den Überfall Deutschlands handelte es sich dabei, sondern um einen als notwendig erachteten Schutz vor Deutschland. Es waren gewisse Massnahmen Deutschlands, gewisse Reden, gewisse Haltungen, die diese Furcht erzeugten und zu jener Haltung führten, die man in Deutschland als Isolierungsversuche auslegte. Dann war es wieder die Furcht vor der Gefahr der Isolierung, die Gegenmassnahmen Deutschlands hervorrief, was bei den andern wieder als Bedrohung erschien. 1) So schrieben wir Pazifisten schon vor einem Jahrzehnt und früher, dass es sich weniger um eine Einkreisung und mehr um eine Auskreisung handelte. Diese Auskreisung begann im Haag 1899, als die Kulturstaaten der Erde an Stelle der alten Gewaltsicherung eine neue auf Recht und Übereinkommen beruhende setzen wollten und dabei auf den heftigsten Widerstand Deutschlands stiessen.

Unmittelbar nach der Marokkokrise des Jahres 1905 schrieb ich in der «Friedens-Warte» (S. 205) einen Artikel, der die Überschrift «Von Münster zu Delcassé» trägt. Delcassé galt damals schon als der Mann, der den Frieden Europas stören wollte. Ich schrieb:

«Deutschlands Klage über die Delcassés und Lansdownes ist unberechtigt. Es hat die Situation, unter der es leidet, selbst geschaffen. Es hat 1899 im Haag seinen Feinden das moralische Machtmittel des Misstrauens in die Hand gegeben, es hat damit versäumt, den grossen Moment festzuhalten, und sich das Ansehen einer den Frieden mit modernen Mitteln sichern wollende Macht zu geben. Es blieb zur Unzeit in alten Geleisen. Wie sehr die Haltung Deutschlands im Jahre 1899 verfehlt war, geht aus den eben von Andrew D. White veröffentlichten Lebenserinnerungen hervor ... Graf Münster, der für seine Verdienste auf der Haager Konferenz den Fürstentitel erhielt, erregte, wie bei White zu lesen ist, durch seine Haltung als deutscher Delegierter im Haag die Erbitterung und das Misstrauen aller andern Staaten gegen Deutschland. Deutschland leidet heute noch unter diesem Misstrauen, und Delcassé wäre nicht möglich gewesen ohne Münster. Von ihm führt ein gerader Weg zu dem kriegslüsternen und deutschfeindlichen französischen Minister, dem lediglich die deutsche Politik im Haag die Handhabe gegeben hat, gegen Deutschland zu konspirieren».

Und an einer andern Stelle, wo ich die Lebenserinnerungen Whites ausführlich behandelte («Friedens-Warte» 1905, S. 210) schrieb ich:

«Dass die Gefahr, die die Haltung der deutschen Politik im Jahre 1899 im Haag heraufbeschwor, durch die nachträglichen Konzessionen nicht ganz beseitigt wurde, lehrten die Ereignisse der letzten Zeit. Die damalige Haltung Deutschlands gegen den Versuch, den Frieden auf eine festere Basis als lediglich auf die der Waffen zu stellen, ist nicht vergessen worden. Die Isolierung Deutschlands datiert aus den Haager Tagen. Im Haag wurde, wie wir es schon so oft betonten, jener Fehler gemacht, der Deutschland in der übrigen Welt den Ruf einer in ihren Hauptzügen kriegslustigen Macht eintrug. Es führt, wenn man es genau betrachtet, ein gerader Weg von Münster zu Delcassé, und die letzten Machenschaften wären nicht möglich gewesen, wenn man im Haag die Grösse des Moments richtig erfasst hätte».

Das waren die Warnungen von 1905, an die wir Hoffnungen knüpften. Hoffnungen, die der Erfüllung entgegengereift waren. Die Einkreisungsmär war bereits verblichen, der Delcasséismus in Frankreich war durch den Vertrag vom 9. November 1911 und durch die französischen Februarwahlen von 1914 überwunden. Die Reichsregierung hatte die (1911 gescheiterten) Verhandlungen mit England nicht aufgegeben, sondern ernsthaft fortgesetzt, wie der Reichskanzler in seiner denkwürdigen Unterredung mit Goschen am Abend des 4. August 1914 ausdrücklich hervorhob. Wir standen unmittelbar vor einer dritten Haager Konferenz. Wer weiss, wie sich dort das Verhältnis Deutschlands zu England und Frankreich noch gebessert hätte. — Aber dann fiel der Reif in der Frühlingsnacht. Alle Hoffnungen erwiesen sich als eitel, alle Arbeit als vergeblich. Die Kriegerischen blieben die Stärkeren.

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Sehr beachtenswerter Artikel der Frau Dr. Helene Stöcker in «Die neue Generation» (9. Heft) über «Geschlechtspsychologie und Krieg»:

«Wer nicht ,daran glaubt’, dass der Krieg jemals aufhören kann, der bekennt damit, dass er in der letzten Tiefe seines Wesens im Unbewussten eine solche Änderung auch noch gar nicht wünscht, sie gar nicht versteht. Während das Wort: ,Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg’, oder, ,dass der Glaube Berge versetzen kann’ uns sagt, dass Entwicklungsziele, die heute schon von vielen als Ideale erkannt sind, auch zur Verwirklichung geführt werden, wenn nur die Energie des Glaubens und Wollens dahintersteht».


1 sieh meine Eintragungen vom 10. November 1914