Das Kriegstagebuch des Alfred H. Fried

Bern, 24. März.

Im «Berliner Tagblatt» (22. III.) jubelt Georg Queri weiter über die Technik der Vernichtung beim deutschen Rückzug. Als ob es das «Wundersame» wäre, und es ist ja doch nur die Bosheit, die in einem solchen Reporterherzen jubiliert.

«Man hatte schon vorher unauffällig da und dort ein Haus niedergebrannt und größere Gebäude gesprengt, während eben eine besonders kräftige Schießerei des Feindes diesem suggerieren musste, dass seine Granaten hier gute Erfolge gehabt hätten. Auf eine sehr lange Reihe von Tagen erstrecken sich diese Vorarbeiten der Zerstörung, und schließlich und endlich konnte man unter dem Schutz eines besonders in den Endterminen andauernden Nebels im größten Maßstab das Niederbrennen der Orte betreiben.»

So Queri, der in seinem Friedensberuf Humorist an der Münchener «Jugend» ist.

Was würde man wohl in den gut «deutsch» gesinnten Zeitungen dazu sagen, wenn die Engländer etwa so mit Hottentottenkrals verfahren würden, wie die Deutschen in diesen einst so gesegneten Gefilden Frankreichs, was würden sie über Berichte eines englischen Schriftstellers sagen, der darüber so jubilieren würde, wie unsere amtlich zugelassenen Kriegsschilderer? — Ein Schrei des Abscheus würde durch das ganze deutsche Volk gehen. Und jetzt, wo dieses Grauenhafte von uns selbst einem in Fühlen, Denken, in Kultur und Lebensgewohnheiten uns gleichstehenden Volk gegenüber verübt wird, sollen wir jubeln, sollen wir nicht aufschreien dürfen vor Weh, nicht vergehen dürfen vor Scham! Ja, Scham! Wir schämen uns heute schon, die andern, die schwerfälligen Denker werden sich später, aber durch Jahre, durch Jahrzehnte, wenn nicht durch Jahrhunderte schämen müssen über diese — «strategischen Notwendigkeiten.» Was kann man mit diesem Schlagwort nicht alles rechtfertigen, das so bequem ist, um jeden Einwand zum Schweigen zu bringen. — Aber wir wollen nicht schweigen. Wir, die wir die unheimliche Wirkung solcher Taten heute schon erfassen, wir dürfen nicht schweigen, und indem wir reden, indem wir diese Handlungen beklagen, leisten wir unserm Volk den denkbar besten Dienst. Es ist nicht das Volk, nicht das deutsche Volk, das diese Denkmäler der Vernichtung errichtet, die man einst anstaunen wird wie heute die Pyramiden als Denkmäler der Sklaverei angestaunt werden. Das Volk ist hier nur willenlose Maschine, die dem Ventil des Führers folgt. Darf man eine Lokomotive zur Rechenschaft ziehen, die in einen Eisenbahnzug hineingerannt ist und Leben und Material sinnlos vernichtet hat? — Man hat für die Vernichtungsarbeit in Frankreich das Bild erfunden, von dem Festungskommandanten, der das Glacis einer Festung rasieren lasst. Aber das Lebensgebiet von Zehntausenden, das durch Arbeit des Friedens, der Liebe, der Kultur seit Jahrhunderten errichtete Land, ist eben kein Festungsglacis. Nur das militärische Denken, das so gar nicht gewohnt ist, sich von den Widerständen der Wirklichkeit beschränkt und erzogen zu sehen, dieses routinierte, bequemen Geleisen folgende Denken, macht es erst dazu, um sich damit zu salvieren. An die Zeit nach dem Krieg braucht ein General nicht zu denken, er sagt mit Faust:

«Das Drüben kann mich wenig kümmern,

Schlägst Du erst diese Welt zu Trümmern,

Dann mag, was will und kann, geschehen».

Möge sich die Diplomatie mit dem zurückgelassenen Dreck abfinden, wenn uns nur der Begriff der «strategischen Notwendigkeiten» als Rechtfertigung dienen kann. Die militärische Logik kann sich, mit diesem Dogma ausgerüstet, jedes Paradoxon gestatten. Sie schaltet damit jede Kritik aus, bringt jeden Zweifel zum Schweigen und behält sich das Recht vor, jeden, der es wagt, die Richtigkeit oder Notwendigkeit einer Handlung zu bestreiten, mit der Verantwortung für alle Misserfolge zu belasten. Aber nicht nur Kritik und Zweifel schaltet diese Logik aus, sie zwingt die Lobredner, die Rechtfertiger, die Heiligsprecher in ihren Dienst. Und dabei geht die Welt zugrunde!

Oh, diese vom Kriegsgeist umsponnene Logik!

Der offiziöse «Berliner Lokalanzeiger» spricht (nach Telegramm in «N. Z. Z.» vom 24. März) von dem kommenden Krieg mit Amerika. Er folgert so: Für uns gibt es kein Zurück. Das haben der Reichskanzler und andere maßgebenden Stellen wiederholt. Wenn nun bewaffnete amerikanische Handelsschiffe auf deutsche Unterseeboote feuern, so setzt der Präsident Wilson das Leben amerikanischer Bürger aufs Spiel, in dem Glauben, dass wir es nicht wagen würden, ihnen ein Leid anzutun. « Die Schuld für einen deutsch-amerikanischen Krieg, wenn es dazu kommen sollte, wird Wilson und seiner Regierung zufallen». Das ist jene sonderbare Logik, die wir während des Kriegs (und auch vorher!) so oft vernommen. Wir stellen eine Forderung auf, ohne uns darum zu kümmern, wie sie auf andre wirkt. Wenn diese der Erfüllung jener Forderung nicht zustimmen, so haben sie die Verantwortung für die Folgen. Auf diese Weise konstruierten unsre Blindpatrioten die Verantwortung für den Kriegsausbruch, für den Einmarsch in Belgien und für so viele dort getroffene Massnahmen, für die Fortsetzung des Kriegs nach dem deutschen Friedensangebot, für den Unterseebootkrieg, für die Vernichtung der französischen Nordprovinzen und nun für den deutsch-amerikanischen Krieg.

Es ist dies der Beweis des völlig mangelnden Verständnisses für die Psyche der Andern, für die Unmöglichkeit des Hineindenkens in deren Lage und Empfindungen und der Ausfluss jenes unbeschränkten Götzendienstes der Macht. Sie volo, sic jubeo, und wer sich dagegen auflehnt, trägt die Verantwortung für alle Folgen, die ich infolge des mir entgegengestelten Widerstands herbei zu führen für gut befinde. Ich habe mir daher gar keine Gewissensbisse zu machen, keine Beschränkungen aufzuerlegen, wenn ich morde, senge, ersäufe und zertrümmere, der Andere trägt die Verantwortung.