Das Kriegstagebuch des Alfred H. Fried

Bern, 15. Januar.

Die deutsche Note an die Neutralen vom 12. Januar ist eine indirekte Antwort auf die Entente-Antwort vom 30. Dezember. Man hat durch die Presse jene Antwort als eine Ablehnung erklären lassen. Nun erwidert man sie doch. Indirekt. Wie in der Erzählung, die ich in meiner Jugend gelesen: «Ich habe es geschworen, keinem Menschen es zu sagen, Dir, lieber Ofen, kann ich das Geheimnis anvertrauen». Die Note ist sehr unglücklich abgefasst, sie strotzt nur so von Entrüstung und von «energischen Verwahrungen». Dass man sich energisch dagegen verwahrt, weil man das Friedensangebot als ein Kriegsmanöver bezeichnet hat, geht noch an. Was soll man aber sagen, wenn in der Note gegen die «Anschuldigungen wegen der deutschen Kriegführung in Belgien und der dort im Interesse der militärischen Sicherheit getroffenen Massnahmen» . . . «erneut energisch Verwahrung gegen diese Verleumdungen» eingelegt wird.


Zweimal überträgt die Note leichten Herzens die Verantwortung auf andre, einfach aus dem Grund, weil diese andern eigene Vorschläge nicht akzeptierten. Die belgische Regierung hat das Anerbieten auf Durchzug abgelehnt — «auf sie und diejenigen Mächte, die sie zu dieser Haltung verführten, fällt die Verantwortung für das Schicksal, das Belgien betroffen hat». Die feindlichen Regierungen haben es abgelehnt, das deutsche Friedensangebot anzuerkennen . . «auf sie fällt die volle Verantwortung für den Fortgang des Blutvergießens». Welch eigentümliche Rechtsanschauung! Welch gewagte Schlussfolgerungen! Dadurch, dass einer meinem Willen nicht willfahrt, trägt er noch nicht die Verantwortung für die Handlungen, die ich glaube, unternehmen zu müssen. Das ist nicht nur unlogisch, sondern auch gefährlich, weil sich der, der die Verantwortung so von sich abwälzt, zu jeder Handlung legitimiert erachtet. Diese Anschauung kommt aus dem Disziplinarverhältnis der Armee. Wer einen Befehl nicht befolgt, der trägt die Verantwortung für die dem Befehlgeber notwendig erscheinenden Massnahmen. Aber für den Völkerverkehr sind derartige Grundsätze nicht anwendbar.

Ein Aufruf des Kaisers, «An das deutsche Volk!» überschrieben, wendet sich gegen die Forderungen der Entente in der Wilson-Note und appelliert an die «hellflammende Entrüstung und an den heiligen Zorn», die «jedes deutschen Mannes und Weibes Kraft verdoppeln» werden.

Der Ton der Presse in allen Ländern erreicht den Gipfel des Hasses und der Erbitterung. Besinnungs los will man sich in das Blutbad des Überkriegs stürzen, der in wenigen Wochen beginnen soll.