Das Kriegstagebuch des Alfred H. Fried

Bern, 13. Januar.

Das Tor des Friedens lässt sich nur schwer öffnen. Der Schutt und die Trümmer, die der lange Krieg in Form von Bitterkeit, von Hass und Misstrauen auf dem Boden angehäuft, verrammeln die Tür. Es ist erst ein Spalt geöffnet und es wird noch viele Kraft, guten Willen, Vernunft kosten, um den Eingang ganz frei zu bekommen.

Oftmals werden die Bemühungen den Eindruck des Vergeblichen erwecken. Man darf sich aber nicht erschrecken lassen. Das Durchhalteprinzip, das nun seit 30 Monaten den Mörsern, den Minen den giftigen Gasen gegenüber gepredigt wurde, muss auch gegenüber den Unannehmlichkeiten in dem Kampf um den Frieden verkündet werden. Man mag uns darob als «Illusionisten» bezeichnen, die Illusion, zu einem Ende dieses Wahnsinns zu gelangen ist menschenwürdiger, vernünftiger, aussichtsreicher, als die Illusion, die darin liegt, dass durch eine Fortsetzung dieses Kriegs mit verstärkten Mitteln nur um ein Haar mehr erreicht werden könnte, als schon jetzt erreicht werden kann.

Die Antwort der Entente auf die Wilson-Note hat in der Presse der Zentralmächte jene Entrüstung ausgelöst, die erwartet wurde. Sie wurde mit Hohngelächter empfangen, mit Entrüstung zurückgewiesen und dazu benützt, den Furor der Völker für eine unentwegte Fortsetzung dieses, Krieg genannten, Zustands der internationalen Verzweiflung zu entfachen. Man könnte glauben, nun sei alles aus, auch der bereits geöffnete Spalt der Friedenstür sei wieder zugeklappt. Ist dem so?

Die Entente hat ihre Kriegsziele bekannt gegeben. Ihre Forderungen sind etwas reichlich ausgefallen. Man vergesse jedoch nicht, dass es die Forderungen von zehn Staaten sind, die hier summiert erscheinen. Es ging doch nicht gut an, dass auch nur die Forderung eines Staats der verbündeten Mächte in der Aufstellung unberücksichtigt geblieben wäre. Wenn zehn Staaten sagen, was sie für die ihren Völkern auferlegten Leiden erwarten, dann muss sich eine ganz gehörige Liste entwickeln. Man braucht darob nicht zu erschrecken, nicht gekränkt oder entrüstet zu sein. Eine Forderung bedeutet noch nicht den Abschluss des Handels, und von der Geltendmachung bis zum Protokoll lässt sich noch viel erwarten. Das Leben macht Kompromisse. Und wenn man dies auch nicht zugibt, solange man gedeckt durch Mörser und Haubitzen miteinander spricht, am grünen Tisch werden beide Gruppen aneinander ihre Wunder sehen.

Die Note der Entente bietet die Möglichkeit einer Weiterführung der im Gang befindlichen Friedensgespräche. Sie lässt eine Erwiderung und Ergänzung sogar als Notwendigkeit erscheinen. An die «Form» darf man sich nicht stossen. Wo so Grosses am Spiel steht, erscheinen ästhetische Rücksichten nicht angebracht. Und welche krieg-führende Regierung fände jetzt eine Form, die den Gegner nicht verletzte. Wir müssen hoffen, dass der heilige Friedenswille und der Abscheu vor allem, was jetzt kommen muss, den Völkern und den Regierungen durch das Dickicht des Hasses und des Misstrauens hindurch den Ausweg aus diesem Krieg noch zeigen wird. Unsre Hoffnung wird bestärkt durch den Gedanken, dass jene Neutralen, für die der Hass und das Misstrauen nicht bestehen, sich als Führer zu diesem Ausweg finden werden.