Das Kriegstagebuch des Alfred H. Fried

14. Mai (Lugano) 1915.

Das Ministerium Salandra hat seine Demission gegeben. Friedenszeichen. Die italienische Hetzpresse sieht ihre Felle fortschwimmen. Warum hat es bei uns keine Antikriegspartei gegeben, warum haben bei uns die Blätter à la «Corriere de la sera» und ihre Hintermänner den Sieg davongetragen.

In Amerika ist durch den Untergang der «Lusitania» die Erregung der Masse derartig, dass sie offen Krieg gegen Deutschland fordert. Präsident Wilson soll sich jedoch geäussert haben, man kann doch wegen des Todes von einigen hundert Amerikanern nicht Krieg führen. Im alten Europa denkt man anders. Man führt Krieg, entfesselt einen Weltkrieg sogar, um den toten Erzherzog zu rächen. Häuft auf seine Leiche eine Million andrer. Man ging 1911 sogar so weit, wegen einer dem österreichisch-ungarischen Konsul Prochaska nur angeblich zugefügten Körperverletzung, einen Krieg gegen Serbien inszenieren zu wollen. In demokratisch regierten Ländern erscheint die Scheu vor dem Krieg doch etwas fester zu sitzen, als in den alten Monarchien Europas.

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Der Abg. Pachnike hat in einer in Magdeburg (am 8. Mai) gehaltenen Rede auf die zu erwartenden ungeheuren Lasten an Rüstungen und Steuern hingewiesen. «Steuern werden kommen in einer Zahl, von denen man sich heute noch nichts träumen lässt ... Die Opfer werden gross sein und die Verzinsung der Millarden geht ins Gewaltige; Ziffern, die Schwindel erregen können. Wir werden wahrscheinlich in die Zeit der Monopole kommen», usw. Schöne Ausblicke! Die Rechnung des Kriegs wird gut aussehen! Warum führen wir ihn also. Wie wird das Leben erst in Österreich-Ungarn aussehen, das schon aus seinen frühern Kriegen her erheblich belastet war. Wird das Leben in diesem finanziell so armen Lande nicht unerträglich werden?

Vor einigen Tagen ist Lamprecht gestorben. Vielleicht auch ein Opfer des Kriegs. Er war auf Einladung der Regierung an die Front gereist und ist von dort krank zurückgekommen. Ende August habe ich ihn noch in seinem Leipziger Heim gesprochen. Er war damals voll grosser Hoffnungen auf einen gewaltigen Sieg Deutschlands. Sprach von der Periode deutscher Weltherrschaft, die jetzt anhebe. Auf dem Tisch in seinem Salon lag die Landkarte mit Fähnlein bespickt. Dennoch hat Lamprecht den Pazifismus begriffen. Er ist in verschiedenen seiner Schriften und auch in der «Friedens-Warte» für ihn eingetreten.

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Jetzt vor einem Jahre begann Bertha von Suttners letzte Leidenszeit. Der Mai fand sie schon als Totkranke. Ich will jetzt einen Aufruf erlassen zur Sammlung für ihr Grabdenkmal. Die Urne hat noch immer nicht ihre letzte Ruhestätte gefunden.