Das Kriegstagebuch des Alfred H. Fried

Bern, 14. Dezember.

Das Oberkommando in den Marken, das sich bereit erklärt hatte — wahrscheinlich infolge von Vorstellungen seitens Bernsteins — die Manuskripte der «Friedens-Warte» einer neuerlichen Prüfung zu unterziehen, hat sich auch danach nicht veranlasst gesehen, das Verbot aufzuheben. So wird die Doppelnummer nur in sehr dürftigem Umfang erscheinen und wohl die letzte Nummer für lange Zeit sein. In Berlin kann ich das Blatt unter diesen Umständen nicht herausgeben, aber auch deshalb nicht, weil der Verkehr unerträglich langsam geworden ist. Vielleicht wird es fernerhin in der Schweiz erscheinen.

Es ist aber doch traurig, dass in Deutschland die Stimme des Pazifismus unterdrückt werden muss, dass nichts erscheinen soll, was nicht in der direkten Linie der Stimmungsmache liegt. Welchen Wert hat der Hinweis auf die grosse Volksbewegung, wenn man weiss, dass jede von der offiziellen Meinung abweichende Äusserung nicht an die Oberfläche kommen darf. Wir freuen uns der Kritiker, die der englischen Politik in England erstehen und müssen zusehen, wie jede Kritik bei uns zum Schweigen gebracht wird. Das ist ein Kampf gegen Symptome. So müssen wir die Propaganda gegen den Krieg dem Krieg selber überlassen. Folgerichtig müsste auch er unterdrückt werden, denn er ist ein rücksichtsloser Agitator.

Man sollte eigentlich aufhören, die Zeitungen zu lesen, die notgedrungen nur solchen Inhalt bieten können, der einem zuwider ist. «Erlaubt ist, was missfällt.» — Nur das «ziemt sich» während des Krieges. «Und willst du wissen, was sich ziemt, frage nur bei der Zensurbehörde an.» —

In dem oben (11. Dezember) zitierten Artikel von Hermann Bahr befindet sich eine Stelle, wo bestritten wird, dass man den Krieg in Deutschland mit Hass führt.

«Wir hätten den Krieg ohne Hass geführt. Wir hatten zu hassen nicht nötig, wir haben Kraft, nur Schwäche hasst. Wir hassen heute noch keinen. Wir schlagen sie, aus Pflicht und weil es sein muss, doch ohne Hass. Wir Deutsche, hat Bismarck gesagt, fürchten Gott, aber sonst nichts in der Welt, und die Gottesfurcht ist es schon, die uns den Frieden lieben und pflegen lässt. Wer den Frieden bricht, den schlagen wir ab, dies muss sein, aber dazu brauchen wir keinen Hass, das Schwert genügt. Es ist nicht wahr, dass wir hassen; der deutsche Furor muss nicht erst mit Hass gepfeffert werden ... Der Deutsche bringt die nötige Wut auch ohne Hass auf. Da wir keinen fürchten, hassen wir auch keinen. Nicht einmal die Engländer, die uns doch zwingen wollen, sie von Herzen zu verachten, hassen wir. Wenn Europa zerrissen ist, wir sind unschuldig. Der Hass, der es zerrissen hat, war nicht unser. Ein paar Ästheten mögen auch bei uns verrückt geworden sein, doch das deutsche Volk hasst keinen Feind.»

Dies wäre sehr schön, wenn es wahr wäre. Alles beweist das Gegenteil. Man hasst, man hasst blind. Und das ist das Bedauerliche; es zeugt nicht von Grösse. Lissauer ist ein berühmter Mann geworden durch sein «Lied vom Hass». Und ich erinnere mich, als ein englischer Staatsmann zu Beginn des Krieges irgendwo gesagt hatte «wir Engländer führen den Krieg ohne Hass», wurde er von verschiedenen deutschen Pressorganen schön angefahren. Das wäre eben die Perfidie, die Frivolität, einen Krieg zu führen ohne Hass, einfach aus heller Berechnung. Und nun kommt ein Ästhet und erzählt uns, Hass ist niedrig, wir führen den Krieg ohne Hass, nur die Feinde hassen. Wie man’s gerade braucht. — Grüner Nebel !

Der Vorschlag des Papstes, am Weihnachtstage die Feindseligkeiten ruhen zu lassen, ist an der Ablehnung Russlands gescheitert. Begreiflich, da Russland seine Weihnachten um 13 Tage später feiert. Ob der Vorschlag durchführbar gewesen wäre, wenn er allgemeine Annahme gefunden hätte, will ich bezweifeln. Die Kriegsmaschinerie lässt sich nicht nach freiem Willen einstellen. Der Gedanke hätte aber eine grosse moralische Einwirkung auf die christlichen Streitteile ausüben können. Die japanisch-indisch-mohammedanischen Mitstreiter hätten diese treuga dei nicht begriffen. Im Grunde zeigt der Versuch sowohl wie sein Versagen, dass auch die christliche Internationale — die älteste und bestorganisierte — dem Krieg gegenüber nicht stand gehalten hat. Da diese aber bisher immer versagte und dennoch stark und am Leben blieb, braucht man den Bankrott aller andern Internationalen erst recht nicht zu fürchten.