Das Kriegstagebuch des Alfred H. Fried

15. April (Lugano) 1915.

Neununddreissig in Deutschland gefangene englische Offiziere sind in Militärarrestanstalten überführt worden. Diese Leute haben nichts verbrochen. Ihr Schicksal erklärt sich nur als eine Repressionsmassregel der Reichsregierung gegen die von der englischen Regierung angeordnete Sonderbehandlung der Mannschaften und Offiziere deutscher Unterseeboote, die in englische Gefangenschaft gerieten.

Die «Norddeutsche Allgemeine Zeitung» veröffentlicht über diese Angelegenheit einen Notenwechsel des deutschen auswärtigen Amts mit der Berliner amerikanischen Botschaft. Daraus geht hervor, dass der englische Staatssekretär der auswärtigen Angelegenheiten mitgeteilt habe, die geretteten Offiziere und Mannschaften der Unterseebote U 8 und U 12 seien in Marinearrestanstalten untergebracht worden. Er begründete dies folgendermassen: «Da sich die Besatzungen der beiden in Rede stehenden deutschen Unterseeboote, bevor sie aus der See gerettet wurden, damit befassten, unschuldige britische und neutrale Handelsschiffe zu versenken und leichtfertig Nichtkämpfer zu töten, sind sie nicht als ehrenhafte Gegner anzusehen».

Diese Begründung ist der unerhörteste Unsinn, der in dieser an Unsinn so reichen Zeit vorgebracht wurde. Wie kann man Handlungen von Militärpersonen, die lediglich einem Befehl gehorchen, den Ausführenden zur Last legen? Warum sollen die Besatzungen der Unterseeboote weniger ehrenhafte Gegner sein, als die andern Gefangenen, da doch auch jene, lediglich ihrem Diensteid getreu, die ihnen übermittelten Befehle ausführten. Bei der Ausübung dieser Befehle haben Mannschaften der Unterseeboote ihr Leben geopfert. Es ist doch Wahnsinn, hier zu behaupten, dass auch dies höchst «unehrenhaft» gewesen wäre. Und dennoch hätten auch jene, jetzt gemassregelten Geretteten ihr Leben einbüssen können. Hier stimmt auch die anständige englische Presse zu. Der «Arbitrator» (April) schreibt darüber: «Diejenigen, die diesen Befehl ausführten, sind dafür nicht verantwortlich. Sie hatten den Befehlen zu gehorchen, wenn sie nicht erschossen werden wollten. Ihr Fall ist nicht der des Spions, der als Freiwilliger handelt».

Die englische Regierung hat sich an Unschuldigen vergriffen, aber auch die von der deutschen Regierung in den Militärarrest abgeführten 39 englischen Offiziere sind unschuldig. Und die Vergeltung an Unschuldigen ist der fürchterlichste Brauch dieses Kriegs. Es ist doch keine Rechtfertigung, wenn man auf das uns angetane Unrecht hinweisen kann. Büssen soll nur der Schuldige. Und als schönste Repressalie erschiene mir hier der Hinweis, dass Deutschland den Engländern hätte andeuten können, dass es wohl in der Lage wäre, Gegenmassnahmen zu ergreifen, die es aber unterlasse, um nicht denselben Fehler zu begehen, wie die Engländer, sich an Unschuldigen zu vergreifen. Dem Rechtsempfinden wird wahrlich kein Dienst geleistet, wenn statt 39 Unschuldiger nunmehr 78 leiden.