Das Kriegstagebuch des Alfred H. Fried

Bern, 30. März.

Die Réjane ist gestern hier in einem Stück von Bataille aufgetreten, das in Paris oft gegeben wurde. Es spielt in der Gegenwart, im Krieg. Verwundete, Krankenschwestern kommen darin vor. Handlung nebensächlich. Aber die Ähnlichkeit der Kriegseinwirkung auf die Menschen, hüben wie drüben, regt zum Denken an. Ein Akt zeigt uns eine Familie, über die die Sorge um das im Feld vermisste Oberhaupt schwebt. Zeigt uns, wie nun die Nachricht von seinem Tod kommt, wie die Brieftasche und die Uhr des Gefallenen überbracht werden, zeigt uns den Schmerz, die seelische Vernichtung. Dieses Schicksal ist international und das einzig versöhnliche daran. Könnte man dieses Stück in Deutschland aufführen, so würde es bei Tausenden Verständnis und Mitgefühl erwecken, die dort das gleiche Schicksal erlebt haben, und die Gedanken könnten über die Frage nach dem Warum zur Erkenntnis der Solidarität der Völker und dem Wahnsinn des Kriegs hinüberspielen. Einsehen müsste man, dass jedes Volk, das das andere im Krieg bekämpft, indem es sich durch überkommene Ideen dazu verleiten lässt, den Schmerz sich selbst zufügt, unter dem der Einzelne, Freund und Feind, nachher zusammenbricht. Das Unglück liegt daran, dass die dichten Mauern, mit denen die Völker von den Nutznießern des Verbrechens umgeben werden, und die nur Wenige in jedem Volk zu überwinden vermögen, die Erkenntnis von der Gleichwertigkeit aller Interessen verhindert, und dass dieser Krieg mit seinen Bergen von Hass diese Mauern noch erhöhen wird. Soll nun das gegenseitige Abschlachtemonopol, das von allen Lebearten der Art Mensch allein zuteil wird, in alle Ewigkeit verlängert werden?