Das Kriegstagebuch des Alfred H. Fried

Bern, 27. März.

Eine sonderbare Rede, die der Führer der Opposition, Miljukow, in der Duma gehalten hat. Eine sonderbare Opposition fürwahr, deren Führer es unternehmen darf, im zwanzigsten Monat des fürchterlichsten Massenmordes von einer unbegrenzten Kriegslust aller Völker in sämtlichen kriegführenden Ländern zu sprechen. Dass man auf Banketten so verflucht verlogen säuselt, nimmt nicht wunder. Dass aber ein liberaler Führer in einer staatsmännisch frisierten Rede, die in die Welt hinaus telegraphiert wird, so zu sprechen wagt, ist verbrecherisch. Und die Gedankenpurzelbäume, die sich dieser Oppositionsmann leistet! Er bekämpft seinen Vorredner, der die Behauptung gewagt hat, dass das russische Volk gegen seinen Willen und allein auf Wunsch der Regierung am Kriege teilnehme und will das Gegenteil durch die Phrase beweisen, dass schon die enormen Opfer, die das Volk auf dem Altar des Vaterlandes bereits gebracht habe, den Beweis (?) liefere, wie wenig jene Meinung zutreffe. — Ein netter Beweis. Also je mehr Wasser einer schluckt, der versehentlich in den Fluss geworfen wurde, um so mehr beweist das, dass er mit Lust und Liebe ersaufe? Pfui Teufel über Euch Fälscher und Elendsvergolder, welcher Nation ihr auch angehört. Ihr seid doch immer die selben!

Und hat Herr Miljukow zwanzig Monate geschlafen? Sein Friedensziel ist noch immer die Aufteilung Österreich-Ungarns. Wie lange will er also seinem Volk die unbezähmbare Lust an diesem Krieg noch zumuten, wenn er statt Kompromissvorschläge solche Wahnwitzideen als Ziel aufstellt?

Es muss nun endlich Schluss gemacht werden mit diesem Pokerspiel. Der Bluff zieht nicht mehr, aber er mordet. Diese Spieltricks des gegenseitig angedrohten Zerreissens und Auffressens müssen aufhören. Hüben wie drüben. Das Kriegsende kommt nie, solange solche beduselte Ritterromantik die Köpfe erfüllt. Zum Vernichten und Erobern reicht nirgends die Kraft. Ausgleich ist das einzige Mittel, das zum Ende führt. Das mögen sich die Miljukows aller Länder gesagt sein lassen.