Das Kriegstagebuch des Alfred H. Fried

Bern, 15. April.

Die Stelle in Asquiths Rede vom 11. April, die die Äusserung Bethmanns über das britische Kriegsziel als «Missverständnis» bezeichnet und eine Erklärung über den richtigen Sinn gibt, lautet:

«Deutschland hat während der letzten zehn Jahre bei mehreren Anlässen seine Absicht gezeigt, Europa unter gleichzeitiger Bedrohung Vorschriften zu machen und durch die Verletzung der Neutralität Belgiens hat es bewiesen, dass es sein Übergewicht selbst um den Preis eines allgemeinen Kriegs herstellen will und dadurch, dass es die Grundlage der europäischen Politik, wie sie durch Verträge festgelegt ist, zerreisst. Die Absicht der an dem Krieg beteiligten Verbündeten ist, diesen Versuch zunichte zu machen und dadurch den Weg für ein internationales System zu ebnen, welches den Grundsatz gleicher Rechte für alle zivilisierten Staaten sich erstellen wird. Wir wollen als Ergebnis des Kriegs den Grundsatz festlegen, dass internationale Probleme durch freie Unterhandlung unter gleichen Bedingungen zwischen freien Völkern behandelt werden müssen, und dass eine solche Übereinkunft nicht länger durch das überwältigende Gebot einer Regierung, die von einer militärischen Kaste kontrolliert wird, aufgehalten und beherrscht wird. Das ist es, was ich unter Vernichtung der militärischen Herrschaft Preussens verstehe, nicht mehr, aber auch nicht weniger».

Das ist das Programm des Pazifismus, das man in den führenden deutschen Kreisen noch immer nicht versteht, das man dort stets als Phrase, Tücke und Umgarnungsbestrebungen bezeichnete, wenn es von den Regierungen der Westmächte und Amerikas vertreten wurde, und dessen Ablehnung jene Auskreisung zustande brachte, die man als Einkreisung bezeichnet hat. Dieses Unverständnis der wichtigsten Erscheinung des neuen Europa gegenüber hat letzten Endes zu diesem Krieg geführt.

Die deutsche Regierung hat wiederum, zum zweitenmal in diesem Krieg den Weg der Haager Einrichtungen als gangbar bezeichnet. Sie tat dies in ihrer an die amerikanische Regierung gerichtete Note vom 10. April im Hinblick auf die Unklarheiten des Sussex-Falles. Die Stelle lautet:

«Sollte der amerikanischen Regierung weiteres Material zur Beurteilung des Falles «Sussex» zur Verfügung stehen, so darf die deutsche Regierung um dessen Mitteilung bitten, um auch dieses Material einer Prüfung unterziehen zu können. Für den Fall, dass sich hierbei Meinungsverschiedenheiten zwischen den beiden Regierungen ergeben sollten, erklärt sich die deutsche Regierung schon jetzt bereit, den Tatbestand durch eine gemischte Untersuchungskommission gemäss dem dritten Titel des Haager Abkommens zur friedlichen Erledigung internationaler Streitfälle vom 18. Oktober 1907 feststellen zu lassen».

Wie prompt! «Schon jetzt!»

Immerhin: das Vorgehen ist ein Sieg jener dilatorischen Methode, die der neuzeitliche Pazifismus zur Vermeidung bewaffneter Konflikte empfiehlt, und deren Nichtanwendung zu Beginn des Streitfalls, der zum Weltkrieg geführt hat, von der gesamten Menschheit der Erde beklagt werden muss. Wir werden es hoffentlich durchsetzen, dass diese dilatorische Methode nach dem Weltkrieg zur allgemeinen Anerkennung gelangt.